Goldstein
verblasste selbst Charly.
»Wenigstens Ihren Wohnsitz. Damit wir wissen, wie wir Sie erreichen können, falls ...«
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Rath schaute über die Schulter in sein Büro, dann wieder zu dem Juden.
»Würden Sie mich einen Moment entschuldigen?«
Der alte Mann nickte.
Rath ging in den Nebenraum und nahm den Hörer vom Telefon. Kirie war ihm gefolgt und schaute neugierig. Fast als habe der Hund geahnt, wer da am Apparat war.
»Hallo Gereon.«
Sie klang nicht einmal unfreundlich. Er musste sich setzen.
»Charly! Hätte nicht gedacht, dass du mich noch anrufst.«
»Wir sollten reden, meinst du nicht?«
Verdammt, hatte sie ein Talent, ihn immer auf dem falschen Fuß zu erwischen. Er machte seinen Arm lang und zog die Tür zum Vorzimmer zu.
»Gibt es da noch viel zu reden?«, fragte er.
»Was willst du? Dass ich dir deine Zahnbürste mit der Post zurückschicke, und das war’s?«
Natürlich wollte er das nicht.
»Entschuldige«, sagte er, »aber die letzten Tage ... Ich hatte den Eindruck, du hast mich abserviert. Und dann dieser Kerl ...«
»Solltest du Guido damit meinen, das ist kein Kerl, das ist ein Freund. Jemand, bei dem du dich noch entschuldigen solltest. Jedenfalls hat er es nicht verdient, dass man ihn so behandelt.«
»Entschuldige. Die Rosen waren eigentlich für dich gedacht. Ein Friedensangebot.«
»Wenn das ein Friedensangebot war, möchte ich nicht wissen, wie deine Kriegserklärungen aussehen.«
Rath konnte sie nicht sehen, aber er hörte ihrer Stimme an, dass Charly gerade ihr breitestes Grinsen aufgesetzt hatte oder es zumindest nur mit Mühe unterdrückte, und dieses Wissen ließ sein Herz einen Hüpfer machen. Er hatte sie noch nicht verloren!
»Es tut mir wirklich leid.«
»Entschuldige dich nicht bei mir, entschuldige dich bei ihm.«
Verdammt! Musste sie dauernd über diesen blöden Kerl reden!
»Du hast recht«, sagte er, »wir sollten reden. Bei mir oder bei dir?« Er merkte, wie sehr es ihn erregte, wenn er an ihre mögliche Versöhnung dachte, ganz gleich ob in seinem oder ihrem Bett.
»Neutrales Terrain«, sagte Charly. »So macht man das doch bei einem Waffenstillstand, oder?«
»Keine Ahnung.«
»Ich dachte ans Café Uhlandeck, da kann man ...«
»Nicht das Uhlandeck.«
»Dann mach einen anderen Vorschlag.«
»Ich lade dich zum Essen ein. Heute Abend. Kempinski am Ku’damm.« Das Restaurant hatte eine schöne Terrasse, und Rath hoffte auf eine laue Sommernacht.
Charly zögerte einen Moment, aber dann kratzte es wieder im Hörer. »Einverstanden.«
Er hätte einen Luftsprung machen können, aber trotz geschlossener Tür traute er sich das nicht. Er legte den Hörer sittsam auf die Gabel zurück und stieß einen unterdrückten Freudenschrei aus. Verdammt! Wäre doch gelacht, wenn er das nicht wieder einrenken würde! Mit dem Grinsemann hatte er überreagiert, natürlich hatte der nichts mit Charly. Trotzdem gönnte er dem Kerl sein blutiges Gesicht, denn er war sicher, dass dieser Dauerlächler, auch wenn er nichts mit ihr hatte, doch gerne etwas mit ihr hätte . Aber wenn Charly darauf bestand, nun gut, würde er sich eben bei ihm entschuldigen, gerne, selbstverständlich. Und ihm bei der Gelegenheit gleich auch deutlich machen, dass er sich künftig andere Frauen zum Trösten suchen sollte.
Rath stand auf und fing schon in der Tür an zu sprechen. »Entschuldigen Sie«, sagte er, hielt aber inne, als er im Vorzimmer stand.
Der Stuhl, auf dem der alte Jude gesessen hatte, war leer.
Rath lief aus dem Büro und schaute den Gang hinunter, obwohl er wusste, dass er den Mann nicht mehr erwischen würde. Er schüttelte den Kopf. Ein komischer Vogel. Aber was er gesagt hatte, das hatte sich sehr plausibel angehört und glaubwürdig.
Wie es aussah, war Abraham Goldstein in Berlin nicht als Mörder in Erscheinung getreten, wie alle das befürchtet hatten. Eher als eine Art Pfadfinder. Jedenfalls als ein Mann mit Zivilcourage.
61
C harly kam sich ein wenig komisch vor, als sie am Alex aus der Telefonzelle trat. Sie schaute hinüber zu den massigen Backsteinmauern der Burg. In Sichtweite des Präsidiums hatte sie mit ihm telefoniert, hätte sie da nicht auch einfach hineingehen können? Nein, hätte sie nicht. Natürlich nicht. Nicht nur wegen der Kollegen. Das Telefonat war friedlicher verlaufen, als sie befürchtet hatte. Er schien nicht einmal zu ahnen, wie ernst es war. Na ja, da musste sie jetzt durch.
Sie überquerte die
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