Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
Verwertbares. Bislang hatte es nur Unschuldige getroffen, Menschen, die keinerlei Ähnlichkeit mit Abraham Goldstein aufwiesen, meistens aber eines gemeinsam hatten: Sie waren Juden, angeschwärzt von missgünstigen Nachbarn oder Kollegen.
    Rath stand auf und nahm den Hund an die Leine. Er brauchte dringend frische Luft. Zuerst holte er bei Aschinger ein paar Bouletten, dann steuerte er die Telefonzellen am Bahnhof an. Erhatte Glück und fand eine freie. Während sich der Hund mit den Fleischklopsen beschäftigte, warf Herrchen einen Groschen in den Münzschlitz.
    »Herr Weinert ist derzeit nicht in der Redaktion«, sagte die Stimme in der Leitung. »Wissen Sie denn nicht? Er ist mit Doktor Eckert unterwegs.«
    »Mit dem Zeppelin?«
    »Richtig. Hat er Ihnen das nicht erzählt? Er macht die Islandfahrt mit.«
    Rath legte auf. Sein einziger Kontakt zur Hauptstadtpresse schwebte irgendwo über dem Polarmeer. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn Berthold Weinert ihm etwas über Finks Informanten hätte erzählen können. Er nahm Kiries Leine und ging wieder an die frische Luft, suchte die Ruhe des Monbijouparks und hoffte, dort vielleicht ein paar Ideen zu bekommen.
    Als er nach einer Stunde in sein Büro zurückkehrte, musste er seinen Schlüssel zücken. Erika Voss war mittlerweile auch in der Mittagspause. Er durchquerte das verwaiste Vorzimmer und setzte sich an seinen Schreibtisch, Kirie legte sich darunter.
    Er musste an seinen Besuch bei Lanke denken heute Morgen, bevor der Rummel wegen Goldstein losgegangen war. Rath hatte dem Kriminalrat angemerkt, dass er genau wusste, wer Marion Bosetzky war. Da der Inspektionsleiter, ein Bürohengst sondergleichen, die Nackttänzerin mit Sicherheit nicht persönlich rekrutiert hatte, lag eine andere Vermutung nahe, und Rath beschloss, dieser Vermutung nachzugehen, bevor er Gennat darum bat, einen Antrag auf Akteneinsicht zu stellen. Bis der seinen bürokratischen Gang gegangen war, hätten alle Beteiligten ihre Pensionsbewilligung in der Tasche, und so lange konnte Rath nicht warten.
    Während er noch überlegte, klopfte jemand an.
    Er hatte die Tür zum Vorzimmer offen stehen lassen, sonst hätte er das zaghafte Klopfen vielleicht gar nicht gehört. Wer zum Teufel konnte das sein? Es klopfte noch einmal.
    »Herein«, rief er, doch niemand folgte seiner Aufforderung.
    Stattdessen klopfte es nach einer Weile noch einmal. Wer das auch sein mochte, er war gleichermaßen harthörig wie hartnäckig. Rath verdrehte die Augen, stand auf und ging ins Vorzimmer. Kirie schaute irritiert auf und tapste hinterher. Rath stürmte zur Tür undriss sie auf. »Herrgottnochmal, was ist denn?«, fragte er und starrte auf die Gestalt, die da vor seiner Tür stand. Ein alter Mann, ganz in schwarz, mit grauem Bart und Schläfenlocken, ein strenggläubiger Jude, der aussah, als habe er vor drei Tagen noch in seinem Schtetl in Galizien gesessen und sei eben erst in Berlin eingetroffen.
    »Zum Herrn Kriminalsekretär Gräf, bittscheen«, sagte der Mann und schaute abwechselnd auf Rath und den Hund.
    »Tut mir leid, der ist nicht hier.« Rath hasste es, Antworten zu geben, die eigentlich in den Aufgabenbereich von Erika Voss fielen. »Wenn Sie einer von den Zeugen sind – Vernehmungsraum B, hinten den Gang durch, dann die zweite oder dritte Tür rechts. Steht aber auch dran.«
    »Bin ich schon gewesen, der Raum ist abgeschlossen. Hab ich gefragt, hat man mich geschickt hierhin.«
    »Dann ist der Kollege Gräf wohl zu Tisch.« Rath schaute ­demonstrativ auf die Uhr. »Wenn Sie in einer Stunde noch mal ...«
    »Bittscheen, hab ich nicht so viel Zeit. Will ich machen a Aussage.«
    »Dann warten Sie doch so lange.« Rath zeigte den Gang hinunter. »Da sind Bänke vor der Tür.«
    »Bittscheen, hab ich nicht so viel Zeit.«
    Rath seufzte. Er spürte eine Hartnäckigkeit, mit der man sich besser nicht anlegte. Er bat den Mann herein, auch wenn der eigentlich Gräfs Zeuge war. Wenigstens war der hier keiner von den Antisemiten, die nur die Polizei beschimpfen wollten, ganz offensichtlich nicht. »Nehmen Sie doch Platz, dann nehme ich Ihre Aussage auf«, sagte Rath.
    Und das ohne Stenotypistin. Na ja, so wichtig würde es schon nicht sein. Er schob dem Juden einen Stuhl hin und setzte sich selbst an den Schreibtisch der Voss, schlug sein Notizbuch auf und zückte einen Bleistift.
    »Dann wollen wir mal«, sagte er, »Ihren Namen bitte.«
    »Will ich nur a Aussage machen, bittscheen.«
    »Das ist mir schon

Weitere Kostenlose Bücher