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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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ausgehungerter, arbeitsloser Buchhalter. Der Portier wies dezent mit spitzem Kinn zur Telefonkabine, und der Hungerhaken glotzte neugierig. Rath verließ die Kabineund ging hinüber. Der Händedruck des schmächtigen Mannes fiel kräftiger aus als erwartet.
    »Ich bin Hoteldetektiv«, sagte der Hoteldetektiv. »Grunert mein Name. Sie sind von der ... Kriminalpolizei?« Das letzte Wort sprach er so leise, als müsse man sich dafür schämen.
    Rath nickte und stellte sich vor.
    »Dürfte ich bitte Ihren Ausweis sehen?«
    »Aber sicher.« Rath fummelte das Dokument aus der Tasche. Die flinken Finger des Hoteldetektivs falteten das Papier auseinander. Grunert verglich die Fotografie mit dem Original, schien zufrieden und reichte Rath den Polizeiausweis zurück. »Sie werden verstehen, dass wir ein berechtigtes Interesse daran haben, zu erfahren, in welcher Angelegenheit die Polizei im Excelsior unterwegs ist. Ihre Aufmerksamkeit gilt einem bestimmten Gast, sagt mir unser Herr Teubner. Dem Amerikaner in dreinulleins?«
    »So ist es. Abraham Goldstein. Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen, der Mann weiß, dass die Polizei ...«
    »Herr Rath?« Teubner, der Portier, hatte sie unterbrochen. Er stand hinter seinem Tresen und hielt einen Telefonhörer in der Hand. »Entschuldigen Sie, Herr Rath, ein Gespräch für Sie«, sagte er, »es scheint äußerst dringend zu sein. Ein Herr Gräf ...«
    Rath nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Reinhold?«, fragte er in die Sprechmuschel.
    »Gereon, du hast recht gehabt!« Der Kriminalsekretär klang etwas gehetzt. »Goldstein ist gerade mit dem Aufzug hier unten angekommen und geht jetzt in den Tunnel.«
    7
    A ls er wieder zu sich kam, wusste er zunächst nicht, was geschehen war, spürte nur den Schmerz in seinem Schädel, einen dröhnenden Schmerz, laut wie die S-Bahn, wenn man genau unter der Brücke stand. Dann erst bemerkte er die Musik, eine Musik, die der Schmerz, der nun langsam nachließ, bislang übertönt hatte. Irgendjemand sang, und er kannte diese Stimme, aber er konntenicht sehen, wer da sang, er musste die Augen aufschlagen, und als er das tat, sah er immer noch nichts, nur ein unbestimmtes, verschwommenes, schmutziges Grau. Er musste seine Augen förmlich zwingen zu fokussieren, erst dann erkannte er den vertrauten grauen Kittel, den er immer im Laden trug, und der war voller Blut. Als Kalli merkte, dass er da auf seinen eigenen Schoß glotzte, hob er den Kopf. Auf dem Plattenspieler drehte sich eine Platte, und nun erkannte er auch den Schlager wieder, der da aus dem Lautsprecher brüllte, viel zu laut, viel lauter, als Kalli seine Platten sonst zu hören pflegte.
    Dann sah er die blaue Gestalt gleich neben dem Plattenspieler auf dem Sofa sitzen, auf dem er sonst immer sein Nickerchen machte, und mit dem Gesicht, das er nun erblickte, meldete sich endlich auch die Erinnerung.
    Da war dieser Bulle in seinen Laden gekommen, ein Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte, nicht in seinem Laden und auch nicht im Viertel, dabei kannte er alle Schupos, die hier ihre Runden drehten. Ein Neuer, hatte er zunächst gedacht, ein Frischling, der würde die Regeln auch noch lernen. Dass man in Kallis Laden am besten nicht zu gründlich herumschnüffelte, wollte man es sich nicht mit der Berolina verderben. Der unbekannte Schupo hatte eine Armbanduhr aus dem Regal genommen, ein billiges Blechding, einer von den Ladenhütern, nicht so edle Ware, wie Alex sie aus dem KaDeWe angeschleppt hatte – und die er sowieso niemals im Laden ausstellen würde. Auf die freundliche Begrüßung hatte der Bulle überhaupt nicht reagiert, hatte nur diese Uhr in der Hand gehalten, hatte mit den Fingern in das Armband gegriffen, dass das Ziffernblatt nach außen zeigte, und die völlig bewegungslosen Zeiger angeglotzt, als sei diese beschissene Uhr, von der Kalli nicht einmal mehr wusste, woher er sie hatte, das Wertvollste unter der Sonne, und sich dabei langsam, Schritt für Schritt, dem Tresen genähert. »Möchte wetten, die ist irgendwo geklaut«, genau diesen Satz hatte er gesagt, als er am Tresen angekommen war, mehr nicht, und Kalli hatte sich in seiner Vermutung bestätigt gefühlt, es mit einem Frischling zu tun zu haben, dem man erst einmal Manieren beibringen musste. Ein Anruf bei Lenz, und die Sache wäre geritzt, die Berolina würde das Großmaul schon kleinkriegen. So hatte Kalli gedacht und sich von dem Schupo nicht einschüchternlassen. Aber dann war etwas passiert, mit dem er

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