Goldstein
Mundwinkeln war plötzlich verschwunden. »Und mit dieser Bitte um anständiges Benehmen empfangen Sie jeden Touristen in Ihrer Stadt? Oder nur die amerikanischen?«
»Nur ausgewählte Reisende. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen.«
»Wo wir schon von Anstand reden: Ich war gerade im Bad. Sie erlauben, dass ich mich ankleide? Nehmen Sie doch so lange Platz.«
Goldstein verschwand ohne ein weiteres Wort im Nebenraum. Rath schlug das Angebot aus und blieb stehen, hielt das Schlafzimmerfenster durch die halb geöffnete Tür im Auge. Er rechnete nicht mit einem Fluchtversuch und schon gar nicht damit, dass der Ami sich den Weg freischießen würde wie in einem Gangsterfilm, dennoch öffnete er den Druckknopf an seinem Schulterholster und holte seine Dienstwaffe heraus, die Walther PP, die sie ihm vor einem Jahr als Ersatz für seine kaputte Mauser gegeben hatten. Er entsicherte die Pistole und steckte sie mitsamt der rechten Hand in die Manteltasche. Für alle Fälle. Mit der Linken zu rauchen war zwar etwas ungewohnt, doch es ging.
Er hatte die Camel gerade ausgedrückt, da kehrte Goldstein zurück, in einem leichten, hellgrauen Sommeranzug. Rath hielt den Pistolengriff noch eine Weile umfasst, den Zeigefinger am Abzug, doch der Amerikaner schien entschlossen, friedlich zu bleiben.
»So. Da bin ich wieder. Warum setzen Sie sich denn nicht? Nicht einmal den Hut haben Sie abgelegt.«
»Ich stehe lieber.«
»Ich weiß nicht, welche Geschichten Sie über mich gehört haben oder über mein Land, aber Sie können Ihre Hand ruhig aus der Tasche nehmen. Ich bin unbewaffnet.«
Rath kam sich vor wie ein Schuljunge, der seinen Spickzettel nicht gut genug versteckt hat, und zog unwillkürlich die Hand aus der Tasche.
»Sie haben mir den Zweck Ihres Besuches noch nicht genannt«, meinte Goldstein und zündete sich eine Zigarette an. Diesmal lehnte Rath ab.
»Ich habe vorerst nur ein paar Fragen an Sie, das ist alles.«
»Sie machen es aber spannend. Dann fragen Sie schon.«
»Sie sind Abraham Goldstein aus New York?«
»Aus Williamsburg. Das gehört zu Brooklyn.«
»Warum sind Sie in Berlin, Mister Goldstein?«
»Schlagen Sie unten an der Rezeption im Anmeldebuch nach, da steht es.«
»Ich möchte es von Ihnen hören.«
»Na, was wohl? Ich bin ein Tourist, was glauben Sie denn? Schaue mir die schöne Hauptstadt Deutschlands an.«
»Keine weiteren Gründe?«
»An welche dachten Sie denn?«
»Vielleicht haben Sie den Auftrag, jemanden umzubringen.«
Goldstein, der gerade an seiner Zigarette gezogen hatte, schaute, als habe er nicht richtig gehört. »Wie bitte? Sie haben zu viel Fantasie, Officer!«
»In Ihrer Heimat wurde in mindestens fünf Todesfällen gegen Sie ermittelt.«
»Es wurde ermittelt, aber ich stehe hier vor Ihnen. Was sagt Ihnen das?«
»Dass Sie einen guten Anwalt haben.«
Rath öffnete die braune Aktentasche und zog ein Stempelkissen heraus und dann einen Fingerabdruckbogen.
Der Ami starrte auf das Formular mit den zehn durchnummerierten Kästchen. »What the hell is that?«, fragte er.
Na, siehst du, mein arrogantes Bürschchen, dachte Rath, haben wir dich doch noch aus der Fassung gebracht! »Herr Abraham Goldstein«, sagte er, so förmlich wie ein Gerichtsvollzieher, »der Berliner Polizeipräsident hat mich ermächtigt, Ihre Fingerabdrückezu nehmen. Vielleicht sollten wir uns zu diesem Zweck doch einen Moment setzen ...«
»Was soll das? Machen Sie das bei jedem Ausländer?«
Rath klappte den Metalldeckel des Stempelkissens auf. »Nein.«
»Und wie komme ich dann zu der Ehre?«
»Mister Goldstein, ich möchte ganz offen mit Ihnen sprechen. Berlin ist nicht gerade erfreut über Ihren Besuch und ...«
»Sie müssen nicht alles glauben, was Ihnen Hoovers Männer erzählen! Halten Sie mich für einen Gangster?«
»Es tut nichts zur Sache, was ich glaube. Ihre Vorstrafen allein rechtfertigen erkennungsdienstliche Maßnahmen dieser Art. Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen Unannehmlichkeiten zu ersparen. Wenn Sie wünschen, kann ich alles auch gerne wieder einpacken und Sie morgen ins Präsidium vorladen. Aber ich muss Sie warnen: Die Wartezeiten beim Erkennungsdienst sind berüchtigt. In diesem Fall nehmen Sie sich besser ein paar Rätselhefte mit.«
Goldstein grinste. »Man sollte die deutschen Cops nicht unterschätzen, was? Spielt hier den Bürokraten und ist mit allen Wassern gewaschen.« Er zog sein Jackett aus, krempelte die Hemdsärmel hoch und setzte sich an den Tisch.
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