Goldstein
doch keinen. Habe ich noch nie gemacht. Können Sie alle in der Gegend fragen.«
»Ich glaube, jetzt machst du gerade Spaß, oder? Soll ich jetzt lachen?«
»Mit den beiden Rotzlöffeln, das war was anderes, die waren doch kriminell. Glauben Sie mir, ich hab nicht vor, die Geschichte zu erzählen, damit reite ich mich doch selber rein, häng doch selber mit drin.«
Es dauerte einen Moment, bevor die Stimme antwortete. »Weißt du was«, sagte sie, »ich glaube dir tatsächlich. Du wirst nicht zur Zeitung gehen, da bin ich mir hundertprozentig sicher.«
Kalli fühlte sich so erleichtert, dass er trotz seiner unbequemen Lage beinah euphorisch wurde. »Nein, werde ich nicht«, sagte er, »ganz bestimmt nicht; ich kenn doch auch gar keinen bei der Zeitung!«
Wieder schwieg die Stimme, und Kalli fühlte sich fast so unbehaglich wie zu Beginn ihres Gesprächs. »Was wollen Sie denn noch?«, fragte er. »Binden Sie mich wieder los. Ich hab Durst.«
»Eine Sache noch, dann kriegst du was zu trinken.« Stephan musste wieder hinten an der Tür stehen, dem Klang der Stimme nach zu urteilen. »Du hast von Zeugen gesprochen. Sag mir die Namen, und du bist mich wieder los. Und meinen Freund hier auch.«
Kalli schaute irritiert zu dem Schupo, der wieder vom Sofa aufgestanden war und angefangen hatte, die Fotos an der Wand zu betrachten.
»Du meintest den anderen Jungen, nicht wahr?«, fuhr der Mann an der Tür fort, »den, der uns entkommen ist. Hat er dich besucht? Wollte er Kapital aus der Sache schlagen? Hat er dir diese Märchen erzählt?«
Sie wussten nicht einmal, dass Alex ein Mädchen war! Tolle Bullen! Ha! Taten so wichtig, und dann so was! Kalli hätte am liebsten laut gelacht, aber daran hinderte ihn dann doch das Gefühl der Hilflosigkeit, das sich immer stärker in ihm breitmachte, je länger er gefesselt dasaß. Warum banden sie ihn nicht endlich los? Er hatte doch sowieso keine Chance abzuhauen!
»Der andere Junge?«, sagte er und zuckte mit den Achseln, so gut das mit den Fesseln ging. »Nee, der war nicht hier. Weiß wahrscheinlich, dass er sich hier besser nicht blicken lässt.«
»Wie kommt es nur, dass ich dir nicht glaube?« Obwohl Kalli ihn nicht sah, war er sicher, dass Stephan bei diesen Worten den Kopf schüttelte. »Aber das spielt auch keine Rolle. Sag mir einfach, wo ich den Kerl finde, mehr will ich nicht wissen.«
»Keine Ahnung. Kenn die Rotzlöffel doch selber nicht. Haben mir einmal was verkauft. Und ihre Adresse habense nun nicht gleich dagelassen.«
Der Mann hinter ihm sagte nichts mehr. Der Blaue jedoch hörte auf, Kallis Fotos zu betrachten, und ging wieder zum Plattenspieler, ließ den Tonarm auf die Platte fallen, dass er mit hässlichen Geräuschen auf- und absprang, bevor er endlich die Rille gefunden hatte. Dieses Schwein! Versaute ihm noch die schönen Platten! Und wie laut! Endlich drehte er am Lautstärkeregler. Aber nicht leiser, wie Kalli gedacht hatte, sondern noch lauter, bis zum Anschlag. Adieu, mein kleiner Gardeoffizier, adieu, adieu ... Richard Tauber sang so laut, wie Kalli ihn noch nie gehört hatte, und der Bulle kam näher und grinste. Genauso wie vorhin, als er das erste Mal zugeschlagen hatte.
8
D er Lärm der Stresemannstraße mit ihrem Autohupen und dem Brummen der Busse war Rath tausendmal lieber als das einschläfernde Stimmengemurmel in der Hotelhalle. Hinter den Bäumen des Askanischen Platzes ragte der Backsteinkoloss des Anhalter Bahnhofs in den graublauen Himmel. Rath hatte die Straße überquert und dabei die beiden Treppenaufgänge im Blick gehalten, die direkt auf die Straße führten, einer gleich vor dem Hotel, zu dem er sich immer wieder umdrehen musste, ein zweiter an der Südostecke des Bahnhofs. Keine U-Bahntreppen, sondern Ausgänge des Fußgängertunnels, der vom Excelsior direkt in den Anhalter Bahnhof führte, der ganze Stolz des Hotels; keine Werbebroschüre vergaß, ihn zu erwähnen. Dass Goldstein diesen Fluchtweg gleich am ersten Tag entdeckt hatte – alle Achtung! Gut, dass er Gräf dort postiert hatte.
Rath fragte sich schon, wo Goldstein bleiben mochte, da sah er ihn aus der Erde kommen. An der Möckernstraße, direkt am Bahnhof. Der Ami trug dieselbe Kleidung wie vorhin, den luftigen sandfarbenen Anzug, einen dazu passenden Hut und einen hellen Trenchcoat. Oben am Ende der Treppe blieb er stehen und schaute sich eine Weile um. Rath machte keinerlei Anstalten, sich zu verstecken, sollte Goldstein ihn ruhig sehen. Dann würde er
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