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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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kleinen Lederrucksack, in dem noch eine weitere Flasche klimperte. Die, die Rath ausgeschlagen hatte. Rath stand auf.
    »Dann wollen wir mal nach unten steigen«, sagte er. »Ich muss dir doch keine Handfesseln anlegen, oder?«
    Tornow schüttelte schweigend den Kopf und stand ebenfalls auf, hängte sich den Rucksack über die Schulter und fummelte an dessen Verschluss.
    »Du warst sehr offen zu mir«, sagte Rath. »Warum hast du mir das alles nicht schon vor ein paar Tagen erzählt? Dann hättest du uns allen viel Ärger erspart.«
    Tornow lächelte. »Da«, sagte er, »wusste ich noch nicht, dass ich mit einem Toten rede.« Er hatte plötzlich eine Pistole in der Hand, die auf Rath gerichtet war. »Du bist doch katholisch, da weißt du, wie gut es tut, sich seine Sorgen von der Seele zu reden. Vor allem, wenn man weiß, dass das Beichtgeheimnis gewahrt bleibt.«
    Rath schaute auf die Mündung der Waffe, ein Unheil verkündendes schwarzes Loch, in dem der Tod wohnte. Es war eine Mauser, wie er jetzt erkannte. So eine hatte er früher selber als Dienstwaffe gehabt.
    »Mach keinen Blödsinn«, sagte er schließlich. »Da unten wartet mittlerweile eine ganze Hundertschaft auf dich! Du hast keine Chance zu entkommen.«
    »Wer sagt denn, dass ich entkommen will. Vielleicht will ich dich nur erschießen.«
    »Vor über hundert Zeugen?«
    Tornow zuckte die Achseln. »Na und? Schon vergessen, dass ich sowieso ein Polizistenmörder bin? Auf einen mehr oder weniger kommt es dann doch auch nicht mehr an.«
    Rath schüttelte den Kopf. »Ich glaube dir das nicht«, sagte er.
    Tornow war irritiert. »Was glaubst du mir nicht?«
    »Ich glaube nicht, dass du so kaltblütig bist und mich einfach abknallst. Außerdem ...« Er deutete auf den Wartungsgang, der sie umringte. Während ihres Gesprächs hatte sich die Gaskuppel bereits einige Zentimeter weiter nach unten bewegt. »Jeden Moment erscheinen hier ringsum Uniformierte mit durchgeladenen Karabinern. Die knallen dich ab wie einen Hasen, solltest du auf mich feuern.«
    Tornow schaute tatsächlich kurz zur Seite, und mehr hatte Rath auch gar nicht gewollt. Mit einer schnellen Bewegung war er bei ihm und hatte seine Rechte mit beiden Händen umklammert. Ein Schuss löste sich aus der Mauser, das Projektil flog hoch in den Nachthimmel und verschwand auf Nimmerwiedersehen irgendwo in den Wolken.
    Die beiden Männer landeten auf der leicht abfallenden Kuppel des Gasbehälters, der einen dumpfen Gong von sich gab, als die Mauser in Tornows Hand gegen das Metall schlug. Während Rath seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit auf die Schusshand konzentrierte, musste er andere Dinge notgedrungen vernachlässigen. So traf ihn Tornows Tritt in den Unterleib unvorbereitet und mit voller Wucht. Er spürte, wie ihm schwarz vor Augen wurde und ihm für einen Moment die Luft wegblieb, doch er richtete seinen ganzen Willen darauf, diese Hand mit der Waffe umklammert zu halten. Mehrmals schlug er Tornows Knöchel hart gegen den stählernen Gasbehälter, während Tornow versuchte, ihn abzuschütteln. Rath steckte die Schläge und Tritte ein und ließ sich nicht beirren. Tornows sämtliche Fingerknöchel waren bereits blutig, als er die Pistole endlich losließ. Sie rutschte ein paar Zentimeter und blieb dann liegen. Bevor Tornow sie wieder erreichen konnte, hatte Rath die Mauser mit der Hand weggewischt wie beim Tischhockey den Puck. Die Waffe schlidderte über die leicht abschüssige Metallfläche, drehte sich dabei ein paarmal um die eigene Achse und rutschte schließlich, immer noch mit enormem Schwung, über den Rand der Gasglocke. Doch fiel sie nicht in die Tiefe zwischen Teleskopglocke und Führungsgerüst, wie Rath gehofft hatte, sondern schaffte es über den gar nicht mal so schmalen Spalt und blieb auf dem Laufgitter des Wartungsganges liegen.
    Tornow hatte die Situation sofort erfasst, außerdem war er näher dran. Er rannte hinüber, hechtete auf den Boden und legte sich bäuchlings an den Rand des Gasbehälters, fingerte hektisch nach der Mauser, musste sich strecken, um die Waffe zu erreichen. Rath hatte keine Eile, er rappelte sich auf, versuchte, die Schmerzen zu ignorieren, die Tornow ihm zugefügt hatte, und holte seine Walther aus dem Schulterholster.
    Er hatte die Waffe bereits durchgeladen, als Tornow seine Mauser endlich in die Finger bekam. Bei seinen Anstrengungen hatte er nicht darauf geachtet, dass die Gasglocke auch in dieser Zeit weiter abgesunken war. Das Geländergestänge

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