Goldstein
beispielsweise. Oder hättest du dich auch ohne Kuschkes Begleitung mit dem roten Hugo angelegt? Der hat dann doch die Drecksarbeit gemacht, oder? Hat er auch Rudi Höller erschossen?«
Tornow zuckte die Achseln. »Wen interessiert das jetzt noch?« Zum ersten Mal schaute er Rath an. »Ich dachte halt, wir wären ein gutes Gespann, Kuschke und ich.«
»Aber das wart ihr nicht.«
»Solange er nur das tat, was man ihm sagte, hat es funktioniert. Als er angefangen hat, selber zu denken, fingen die Katastrophen an. Außerdem war der Kerl ein Sadist. Ich hätte es wissen müssen, es war mein Fehler.«
»Und ich dachte, Sadismus sei sozusagen die Grundvoraussetzung für eure Truppe. Ihr bringt Menschen um. Einfach so.«
»Wir räumen Verbrecher aus dem Weg, das ist etwas andereres! Das hat mit Sadismus nichts zu tun!«
»Goldstein habt ihr nicht getötet. Wieso?«
»Vielleicht wollten wir die Öffentlichkeit ein wenig aufrütteln. Zeigen, wie gefährlich es ist, wenn ein als Gangster bekannterMann einfach so unbewacht durch Berlin spazieren kann. Und dass Gesetze, die so etwas zulassen, geändert werden müssen.«
»Er war nicht unbewacht. Erst durch eure werte Mithilfe ist er unserer Bewachung entkommen.«
»Wir hatten ihn die ganze Zeit im Blick. Die Weiße Hand hat sich nicht so dämlich angestellt wie Kommissar Rath.«
»Bis auf Kuschke. Der sollte Goldstein auch nur überwachen, aber bei der Gelegenheit nicht auch noch einen SA-Mann töten, oder?«
»Es hat ihn nicht gefreut, dass der Gangster sich wie ein Pfadfinder benommen hat. Also hat er etwas nachgeholfen. Damit das Bild auch stimmt, das sich Berlin von diesem jüdischen Gangster macht.«
»Dieser jüdische Gangster wird in wenigen Tagen vollauf rehabilitiert sein, was die Berliner Mordvorwürfe angeht. Auch in der Presse.«
Tornow schaute Rath in die Augen, als könne er darin etwas lesen. »Er ist eingeweiht, nicht wahr?«, fragte er, als habe er eine plötzliche Erkenntnis. »Goldstein steckt mit drin in dieser Verschwörung gegen die Weiße Hand!«
»Verschwörung ist der falsche Begriff. Strafverfahren ist passender. Und da spielt er tatsächlich eine wichtige Rolle. Weil er nämlich all diese Morde, die ihr ihm anhängen wolltet, nicht begangen hat.«
Rath musste an Simon Teitelbaum denken, Goldsteins Entlastungszeugen. Der alte Jude hatte guten Grund gehabt, seinen Namen und seine Adresse geheim zu halten: Angst vor Ausweisung. Teitelbaum war illegal in Deutschland. Erst nachdem Gennat alles geregelt hatte, um aus Simon Teitelbaum einen deutschen Staatsbürger zu machen, hatte der sich bereit erklärt, die Aussagen, die er Rath gegenüber gemacht hatte, auch vor Gericht zu wiederholen.
»Dass du mit Gangstern zusammenarbeitest, ist ja nichts Neues«, meinte Tornow. »Aber dass Gennat da mitmacht! Das ist doch der Buddha, den ich eben da unten gesehen habe, oder?« Tornow zeigte mit seiner Bierflasche hinunter in die Leuthener Straße.
Rath schüttelte den Kopf. »Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du einen Menschen einfach so abstechen kannst.«
»Einfach war das nicht, da machst du dir ein falsches Bild. Aberes ließ sich nicht mehr vermeiden.« Er schaute Rath an. »Glaub mir, ich war nicht immer so kaltblütig. Das lernt man mit der Zeit. Ein kleiner Eispanzer rund ums Herz, der hilft, weißt du, ein Panzer wie nach einem Eisregen.« Er machte eine Pause und schaute in die Ferne, hinaus auf den westlichen Horizont, über dem der letzte kleine Rest des Tageslichts noch zu sehen war, bevor die Nacht das Regiment endgültig übernehmen würde. »Der Tag des Eisregens«, fuhr er fort, »das war der Tag, an dem wir Luise in den Hollandwiesen gefunden haben und da nur noch ihre körperliche Hülle im Gras lag und der Mensch, der sie am Morgen desselben Tages noch gewesen war, unwiederbringlich verschwunden war. An dem Tag ist mein Herz erfroren.«
»Und du glaubst, das gibt dir das Recht, genau so zu werden wie die Menschen, die deine Schwester zugrunde gerichtet haben?«
»Ich bin nicht so wie diese Scheißkerle!« Tornow funkelte ihn so wütend an, dass Rath erschrak. »Und ich werde auch niemals so werden!«
»So hart wie sie bist du schon geworden«, sagte Rath. »Ist das wirklich so erstrebenswert?«
»Es geht nicht darum, was erstrebenswert ist.« Tornow trank einen letzten Schluck Bier. »Wir können uns das nicht aussuchen, ob wir hart werden oder nicht.«
Die Bierflasche war leer, Tornow packte sie zurück in den
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