Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
packte die zweite Segeltuchtasche aus, in die er seine alten Klamotten gestopft hatte. Sie sah ihm an, dass sie ihn verletzt hatte. Schon das zweite Mal heute Abend, und diesmal tiefer, viel tiefer als beim ersten Mal. Aber er wollte sich nichts anmerken lassen, und sie ließ ihn in dem Glauben, sie habe nichts gemerkt. Die verzauberte Stimmung war jedenfalls im Eimer. Eben waren sie noch über das Kaufhausparkett geschwebt, jetzt wirkten sie in ihrer Abendgarderobe wie zwei Kinder, die heimlich im Kleiderschrank ihrer Eltern gewühlt hatten. So jedenfalls dachte Alex, und so fühlte sie sich auch. Benny schien es ähnlich zu gehen. Er hatte es eilig, wieder in seine alten Klamotten zu steigen, und auch Alex ging zurück zu dem Wandpfeiler, hinter dem sie ihre Sachen liegen gelassen hatte, und zog sich um. Benny hatte seine Tasche schon geschultert und erwartete sie. »Nun aber an die Arbeit«, sagte er und reichte ihr die zweite Tasche. Wortlos machten sie sich auf den Weg.
    Die Schmuckabteilung lag ebenfalls im Erdgeschoss. Das Glas der Vitrinen schimmerte im Halbdunkel, als sie den Saal betraten. Alex spürte, wie ihre Anspannung wieder zunahm. Die wertvollsten Sachen lagerten natürlich im Tresor, davon stellten sie in den Verkaufsräumen nur Duplikate aus. Die protzigen Klunker ließen Alex und Benny deshalb immer links liegen und packten stattdessen die einfachen Stücke ein, die garantiert echt waren, unscheinbare Ringe, Armreife und Ohrringe, vor allem aber Uhren, jede Menge Uhren, vergoldete Taschenuhren und edle Armbanduhren, für Uhren zahlte Kalli immer gutes Geld.
    Benny zog seine Lederjacke aus und wickelte sie um den Arm. »Alex«, sagte er, »ich versprech dir, in zwei, drei Jahren hab ich so was nicht mehr nötig, dann trag ich den ganzen Tag feine Anzüge und fahr ein Auto und wohn in ’nem schicken Haus mit Dienern und so. Und dann frag ich dich noch mal, ob du mit mir tanzen gehen willst.«
    Sie schaute ihn an, er machte ein entschlossenes Gesicht. Bevorsie etwas erwidern konnte, schlug er zu, und das Glas splitterte. Das Klirren erschien Alex jedes Mal so laut, als müsse die ganze Stadt davon aus den Betten fallen, aber nie war etwas passiert.
    Dennoch beeilten sie sich, sprachen kein Wort mehr, machten nur noch ihre Arbeit. Alex begann, Armbanduhren aus der zersplitterten Vitrine zu klauben und in die Tasche zu stopfen, während Benny die Scherben aus dem Leder seiner Jacke schüttelte und seinen Ellbogen für die nächste Vitrine präparierte. Das zweite Klirren kam Alex schon nicht mehr so laut vor. Sie passte auf, dass sie nicht allzu viele Scherben zusammen mit den Uhren in die Tasche stopfte. Bei der nächsten Vitrine wurde das schwieriger, hier lagen kleinkarätige Brillantringe auf dem Samt zwischen den Glassplittern. Alex achtete so auf die kleinen Splitter, dass sie die scharfe Kante der Scheibe, die noch im Messingrahmen steckte, völlig übersah. Sie fluchte, als sie sich in den Handrücken schnitt.
    Benny kam herüber und schaute sich die Sache an. Die Wunde blutete ordentlich, er riss einen Stoffstreifen aus seinem Hemd, den er um ihre Hand wickelte. Dabei sagte er kein Wort. Die dritte Vitrine, die er gerade geöffnet hatte, leerte er selbst und half ihr dann bei den kleinen Ringen. Mit ihrer bandagierten Hand war Alex keine große Hilfe mehr.
    »Scheiße«, fluchte sie noch einmal. »Tut mir leid.«
    »Nicht so schlimm, wir ...« Benny brach den Satz ab und hielt inne, den Mund noch geöffnet, als sei er mitten im Sprechen zu Stein geworden. »Psst«, flüsterte er. »Hast du das auch gehört?«
    Alex zuckte die Achseln.
    Doch dann hörte auch sie ein Geräusch, das nichts Gutes verhieß.
    Irgendwo im Gebäude war eine Tür zugeschlagen.
    »Der ist schon wieder unterwegs«, flüsterte sie. »Das kann doch nicht sein. Der muss draußen gerade seine Runde machen, der geht doch nicht wieder durch die Verkaufsräume.«
    »Darauf würde ich es nicht ankommen lassen«, meinte Benny und grabschte noch eine Handvoll Ringe aus der Vitrine. »Vielleicht waren wir zu laut. Lass uns abhauen mit dem, was wir haben.«
    Er schloss die beiden Segeltuchtaschen und nahm die schwerere, Alex schulterte die andere, dann liefen sie los, sie vorneweg, weil sie sich hier am besten auskannte. Am Tauentzien waren jetzt Unmengen von Nachtschwärmern unterwegs, die Fenster und Türen dort alle vergittert, um nächtliche Schaufensterbummler nicht in Versuchung zu führen. Sie mussten durch einen der

Weitere Kostenlose Bücher