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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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lieber noch einen höher?«
    »Ja, aber über die Treppe. Dann suchen die Bullen erst mal in der falschen Etage.«
    Benny nickte. »Am besten, wir trennen uns. Du ein Stockwerk nach oben, ich eins nach unten?«
    »Trennen?«
    »Das mit den Bullen ist mir nicht geheuer«, sagte Benny. »Keine Ahnung, wie viele hier rumschwirren, wir müssen sie auseinanderziehen, dann haben wir eine Chance.«
    Er klang wie ein General vor der Schlacht. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, Alex hätte gelacht.
    »Auseinanderziehen, schön«, sagte sie. »Und dann?«
    Benny zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Irgendwie hier raus. Ein paar Möglichkeiten wird es doch geben in so einem großen Haus.«
    »Gut. Wann treffen wir uns?«
    »Erst wenn wir draußen sind. Märchenbrunnen. Jede volle Stunde.«
    Alex nickte. »Na, dann viel Glück«, sagte sie. »Wir sehen uns draußen.« Sie schaute ihn noch einmal an, dann rannte sie die Treppen zur sechsten Etage hinauf. Alex hörte ihre Schritte und Bennys Schritte, die sich immer weiter entfernten. Oben angekommen machte sie vor der Fahrstuhltür kurz halt und überlegte wohin. Wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, wann der Nachtwächter auch in der sechsten Etage die Beleuchtung anwarf. Aber noch war es dunkel. Alex machte zum ersten Mal an diesem Abend Gebrauch von ihrer Taschenlampe und leuchtete die Anzeigenuhren über den Aufzügen an. Der ganz rechts hatte sich schon in Bewegung gesetzt und passierte gerade die zweite Etage. Sie waren also im Anmarsch. Keine Zeit zu verlieren.
    Alex stürzte in die Verkaufsetage, auf der Suche nach einem anderen Fluchtweg oder wenigstens einem Versteck. Der Lichtkegelihrer Taschenlampe wanderte über rot-weiße Bodenfliesen und leere Glasbuffets. Die Imbisshalle des KaDeWe, das Herz der neuen Lebensmittelabteilung. Vorbei an Regalen voller Marmeladengläser durchquerte Alex die Etage. Und dann ging es plötzlich nicht mehr weiter. Alex suchte einen Durchgang in der weiß getünchten Sperrholzwand, die mit so vielen Regalen zugestellt war, dass ihr provisorischer Charakter kaum auffiel. Hinter einer Verkaufstheke fand sie schließlich eine kleine, unscheinbare Tür, nur ein simples Bartschloss, das leicht zu öffnen war. Sie schlüpfte hindurch und schloss die Tür wieder. Gleich dahinter versperrte ein Bretterstapel den Weg, überhaupt sah alles nach Baustelle aus. Welche Produkte hier einmal verkauft werden sollten, war nicht zu erkennen, die meisten Regale mussten erst noch zusammengezimmert werden. Alex durchquerte den Raum und fand eine Tür, hinter der eine Treppe nach oben führte.
    Sie wusste nicht wohin, sie wusste nur eines: Sie durfte ihren Verfolgern nicht in die Hände fallen, um keinen Preis. Seit sie auf der Straße lebte, war das ihre wichtigste Regel: Lass dich niemals von den Bullen erwischen! Immer noch, seit einem halben Jahr nun schon, hatte sie eine Heidenangst, die Polizei könnte sie aufgabeln und womöglich für Beckmanns Tod verantwortlich machen. Oder noch schlimmer: könnte sie in die Mangel nehmen und herausfinden, dass Karl es war, der diesen Scheiß-Nazi erschossen hatte. Dass seine Schwester daneben gestanden und alles gesehen hatte. Und an allem schuld war. Das glaubte Alex jedenfalls manchmal: dass sie ihren Bruder überhaupt erst zum Mörder gemacht hatte. Und dann wieder protestierte alles in ihr dagegen, denn ohne diesen ganzen Rotfrontmist hätte Karl überhaupt keine Knarre besessen und gar nicht erst auf Beckmann schießen können.
    Aber er hatte eine gehabt. Und er hatte geschossen.
    Alex schaltete die Lampe aus und lauschte. Stimmen, kein Zweifel. Stimmen, die lauter wurden. Sie waren oben. Natürlich durchkämmten die Bullen auch die sechste Etage, so blöd waren die nicht, sich von dem Aufzug in der fünften täuschen zu lassen. Es flackerte, und dann ging auch hier oben das Licht an. Alex zog sich instinktiv in das dunkle Treppenhaus zurück, auch wenn die Baustellenabsperrung sie vor Blicken schützte. Vorerst jedenfalls. Was die Passanten unten auf der Straße wohl denken mochten,wenn im KaDeWe kurz vor Mitternacht alle Etagen plötzlich taghell leuchteten?
    Alex schulterte ihre Tasche und stieg die schmale dunkle Treppe nach oben. Bloß weg hier, bevor die Bullen die Sperrholzwand entdeckten und auf die Idee kamen, dahinterzuschauen. Sie stieg durch zwei dunkle Dachgeschosse, dann stand sie vor einer verschlossenen Tür, die für ihren Dietrich ebenfalls kein Problem darstellte. Ein kalter Wind

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