Goldstein
gefrühstückt.«
»Das war ein Witz.« Gräf schaute richtiggehend empört, als nehme er Rath unmoralische Gedanken dieser Art übel. »Die fliegt doch, wenn so was rauskommt!«
Rath zuckte die Achseln.
Gräf nahm Hut und Mantel. »So«, sagte er, »dann vertrete ich mir mal die Beine. Bis später.«
»Später ist nicht.« Rath räusperte sich. »Ich habe einen Auftrag für dich – direkt von Gennat. Du sollst in die Burg fahren und dich bei Böhm melden. Die haben noch eine Todesfallermittlung reinbekommen. Leichenfund am Humboldthain.«
Er hatte das so beiläufig gesagt wie nur möglich, dennoch schaute Gräf ihn verwundert an, hielt, schon halb im Mantel, mitten in der Bewegung inne.
»Und du?«, fragte der Kriminalsekretär und sah mit dem hängenden Mantelärmel aus wie eine Vogelscheuche.
»Ich?« Rath versuchte, immer noch beiläufig zu klingen, doch es fiel ihm schwer. »Ich bleibe hier. Einer muss ja die wichtigen Aufgaben erledigen.«
39
W as für eine ermüdende, zermürbende Beschäftigung. Drei von den Friedrichshainer Reinholds hatte sie schon besucht. Die Tür der ersten Wohnung war ihr gar nicht erst geöffnet worden, den Reinholds in der Romintener Straße hatte der Herrgott nur Söhne geschenkt, und an der dritten Adresse hatte eine – wie sich später herausstellte: unverheiratete – Dame geöffnet, mindestens siebzig Jahre alt, die schon die Frage nach einer Tochter oder Enkelin namens Alexandra als Beleidigung aufgefasst und mit Empörung von sich gewiesen hatte. Und hier in der Grünberger Straße, der vierten Adresse auf der Liste, hatte Charly Probleme, den Namen Reinhold überhaupt zu finden. Sie verglich noch einmal Gereons Notizblockzettel mit der Hausnummer. Die Adresse stimmte, Grünberger Straße 64. Aber kein Reinhold; nicht mit t und nicht mit dt, weder im Vorder- noch im Hinterhaus.
Ein Mann im grauen Kittel fegte gerade den Hof und meckerte gleichzeitig ein paar Fußball spielende Jungen an. So lange, bis die schließlich aufgaben, ihren selbstgebastelten Ball schnappten und sich trollten. Charly ging hinüber und fragte.
»Die Reinholds?«, sagte der Mann und stützte sich auf seinen Besen. »Die wohnen hier schon lange nicht mehr. Sind um Weihnachten rum rausgeflogen.«
»Die Familie Reinhold sitzt auf der Straße?«
Charly war so elektrisiert, dass sie den Gedanken laut aussprach. Sie spürte, dass das eine Fährte sein konnte: Familie auf der Straße, Tochter verwahrlost – schien zu passen.
»Guckense man nich so«, sagte der Graukittel, »ick habse nich rausjeschmissen! Icke halt hier nur Ordnung! Aber so läuft det eben, wenn man seine Miete nicht bezahlt.«
»Aber eine Familie ... mit Kindern?«
»Sindse von die Fürsorge oder warum fragense so?«
Charly antwortete nicht, sie schaute den Mann nur an, doch das reichte, um die Quelle weitersprudeln zu lassen.
»Na ja, Familie konnten Sie det sowieso nich mehr nennen. Einen anständigen Sohn hamse ja, den Helmut, aber der will mit seinem Alten nischt mehr zu tun haben. Wenn er vernünftig ist! Und Karl, sein jüngerer Bruder, ist bestimmt längst in Moskau, oder wo die Roten ihn sonst versteckt haben. Der wird doch gesucht. Habense denn nich gehört? Der Mord an Beckmann?«
Charly sagte der Name nichts, sie arbeitete schon zu lange nicht mehr in der Mordinspektion. Sie schüttelte den Kopf.
»Heinrich Beckmann«, fuhr der Mann fort. »War unser Hausverwalter hier. Stand in allen Zeitungen. Karl Reinhold soll ihn erschossen haben, erzählen die Leute. Wegen der Mietsache vielleicht, vielleicht auch, weil Beckmann in der SA war und der kleene Kalle bei die Rotfront, janz in Vatterns Sinne. Tja, und seit dem Mord isser verschwunden, der Reinhold junior, ist doch seltsam, wa? Und seine Schwester jenauso, vielleicht hängt die auch in der Sache mit drin, die war schon so’n Früchtchen. Die Polente hat jedenfalls nach beeden jefracht, als se hier war. Und beede sind weg, is doch seltsam, wa?«
Charly war völlig überwältigt vom Redeschwall des Hinterhofsheriffs. Jetzt erinnerte sie sich an die Geschichte; hatte in der Weihnachtszeit Schlagzeilen gemacht. Die Nazis hatten seinerzeit ziemlich auf die Pauke gehauen, allerdings hatte man SA-Truppführer Heinrich Beckmann letztlich wohl doch nicht für geeignet befunden, einen zweiten Horst Wessel abzugeben, und irgendwann hatte die Sache dann niemanden mehr interessiert. »Sie wissen aber gut Bescheid«, sagte Charly.
»Man muss dem roten Pack doch auf die
Weitere Kostenlose Bücher