Goldstein
»deutsche Wertarbeit.«
»Haben Sie keinen anderen?«
»Entweder den oder die BVG, Sie haben die Wahl.«
Rath entschied sich zähneknirschend gegen die BVG.
37
D er Uniformierte auf dem Arme-Sünder-Stuhl war kaum wiederzuerkennen. Große Heftpflaster hielten einen Wundverband, der sich unterhalb der Augen einmal quer über das Gesicht zog. Außer einer Begrüßungsfloskel hatte Lange noch kein Wort mit dem Mann gesprochen. Er sortierte in aller Seelenruhe seine Akten, machte Häkchen an den Rand irgendwelcher Blätter und kritzelte Notizen. Hilda Steffens saß verloren da mit ihrem Block und ihrem Stift.
Kein einziger Kollege interessierte sich für den Fall, so gesehen war Langes Vortrag auf der Morgenbesprechung ein voller Erfolg gewesen. Der Kriminalassistent hatte die belanglosen Allgemeinplätze heruntergeleiert, so wie mit Gennat abgesprochen, und kein Mensch hatte nachgefragt. Niemand in der Burg sollte auch nur auf die Idee kommen, dass Kriminalassistent Andreas Lange einen Polizisten verdächtigte, einen Menschen getötet zu haben, einen Minderjährigen zumal, und das womöglich mit Absicht. Bevor davon irgendetwas durchsickerte, musste der Staatsanwalt alle Beweise auf dem Schreibtisch haben, und zwar wasserdicht.
Und so weit war er noch nicht. Zunächst einmal musste er selbst wissen, ob er wirklich auf dem richtigen Weg war. Musste wissen, ob der Mann da vor ihm so einzuschätzen war, wie die Aktenlage es nahelegte. Ein bisschen zappeln lassen konnte da nicht schaden. Und der Mann zappelte schon, das war ihm anzumerken, auch wenn er sich Mühe gab, so ruhig wie möglich auf seinem Stuhl zu sitzen.
»Sieht schlimm aus, Ihre Verletzung da«, begann Lange schließlich aus heiterem Himmel, den Blick noch auf die Akten gerichtet, und Kuschke zuckte zusammen, als habe man ihn gerade geweckt. »Wie haben Sie sich die denn zugezogen?«
Sofort begann der Stift der Steffens, übers Papier zu kratzen, und Kuschke schielte irritiert zu ihr hinüber. »Ist das jetzt schon das Verhör?«, fragte er.
»Vernehmung«, sagte Lange und schaute dem Mann in die Augen. »Wir sagen lieber Zeugenvernehmung.«
Schon diese kleine Bemerkung schien dem Schupo nicht zu gefallen. Genauso wenig, dass er zum zweiten Mal hier sitzen musste. Nach der ersten Irritation hatte er sich wieder gefangen. Und keilte zurück. »Hab ich mir im Dienst zugezogen«, sagte er und lehnte sich provozierend zurück. »Kann Ihnen ja nicht passieren. Oder hat Sie det Frollein dort schon mal aus Versehen mit ihren Bleistift jepiekt?«
Das Kritzeln des Bleistifts pausierte für einen Moment. Lange ignorierte den Provokationsversuch und merkte, dass er wider Erwarten nicht einmal rot wurde. »Wo im Dienst?«, hakte er nach, und diese einfache Nachfrage schien den Hauptwachtmeister, wenigstens für einen kleinen Moment, trotz aller zur Schau getragenen Bräsigkeit doch aus der Fassung zu bringen.
»Ich dachte, es geht ums KaDeWe«, sagte Kuschke.
»Denken Sie nicht, beantworten Sie meine Fragen.«
Lange hatte den richtigen Ton getroffen. Ein Mann wie Jochen Kuschke wollte offensichtlich mit preußischer Offiziersarroganz angeschnauzt werden.
»Na, irgendso’n zugekokster schwuler Bubi vom Nolle, der nervös geworden ist, als ich ihn kontrollieren wollte. Konnte ja nich ahnen, dass der gleich’n Messer zückt.«
»Natürlich nicht.« Lange nickte. »Das werde ich dann ja alles in Ihrem Bericht nachlesen können.«
»Gibt noch keinen Bericht über den Vorfall.«
»Dann reichen Sie den doch bitte nach«, sagte Lange und machte sich noch eine Notiz. »Was haben Sie denn mit dem Messerstecher gemacht?«
»Na, nischt! War doch über alle Berge. Aber wenn ick den noch mal seh’, dann isser fällig.«
»Was soll das heißen?«
»Na, dann musser halt dafür geradestehen. Kann doch nicht einfach einen Beamten abstechen.«
»Aber Sie übernehmen die Bestrafung nicht persönlich ...«
»Wie bitte?«
»Nun ja.« Lange schlug die Mappe auf und blätterte in der Akte. »Es soll ja Kollegen geben, die greifen der Justiz ab und an etwas vor.«
»Wie meinen Sie das?«
Lange las vor: »Vierzehnter April neunzehnhundertsiebenundzwanzig, gewalttätiger Übergriff im Dienst. Das Verfahren wegen schwerer Körperverletzung wurde im September desselben Jahres eingestellt, aber interne Verwarnung, Vermerk in der Personalakte.«
»Wie Sie schon sagen: Verfahren eingestellt.«
Lange verlas den nächsten Eintrag. »Dritter Mai
Weitere Kostenlose Bücher