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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Kriminalsekretär klang seltsam gepresst. »Tut mir leid, keine Zeit für eine geordnete Übergabe, erst mal muss ich pinkeln!«
    Und mit diesen Worten machte Gräf sich auf den Weg. Rath schüttelte den Kopf und schaute Kirie an, die es sich wieder unter dem Schreibtisch gemütlich gemacht hatte. »Kannst du das verstehen?«, fragte er den Hund. »Wie kann ein Mensch nur so hektisch sein?«
    Rath setzte sich an den Tisch und schlug die Kladde auf, die er gestern mit abstrakten Mustern gefüllt hatte, beim halbherzigen Versuch, einen Schriftsteller zu imitieren. Der pflichtbewusste Gräf dagegen, der im Dienst sogar den Drang zum Pinkeln unterdrückte, hatte sich gewissenhaft Notizen gemacht. Gestern Nachmittag schon und augenscheinlich auch heute Morgen, dem Datum und den Uhrzeiten nach zu urteilen. Der Kriminalsekretär hatte alles vermerkt, was sich rund um Zimmer 301 abgespielt hatte, auf dieMinute genau selbst die Besuche des Zimmermädchens und des Etagenkellners notiert. Demnach hatte Goldstein seine Suite nur noch ein einziges Mal verlassen seit gestern Morgen. Sah fast so aus, als hätten sie dem Ami seinen Berlinaufenthalt schon verleidet.
    Gräf kam von der Toilette zurück, deutlich ruhiger, als er fünf Minuten zuvor losgegangen war. »Wurde auch Zeit«, sagte er. » Mal eben das Auto abholen hat aber verdammt lang gedauert.«
    Rath nickte nur. Er hatte keine Lust, Einzelheiten zu erzählen. Nicht einmal den Weg von Reinickendorf bis Kreuzberg hatte der Hanomag ohne Zwischenfälle bewältigt. Als die Ampel an der Invalidenstraße wieder auf Grün sprang, war der Motor einfach so abgesoffen und hatte sich allen Startversuchen widersetzt. Fluchend hatte Rath die Kiste an den Straßenrand geschoben, war die paar Meter zum Stettiner Bahnhof gelaufen und hatte von dort mit der Werkstatt telefoniert. Es hatte etwas gedauert, bis er den richtigen Mann an der Strippe hatte. »Ach, die Benzinleitung«, hatte Heinz, der Mechaniker, gesagt, der selbst beim Telefonieren seine Stullen zu essen schien. »Habe ich Ihnen das denn nicht erklärt?« Hatte er nicht, und so erfuhr Rath die ganze Wahrheit über seinen Leihwagen erst am Telefon: Der Hanomag neigte ab und an dazu, zu viel Benzin zu ziehen und dann abzusaufen. Der kundige Autofahrer reduzierte in solchen Fällen den Durchmesser der Benzinleitung mit einer Klammer, die eigens zu diesem Zweck im Handschuhfach verstaut war. Rath hatte getan wie geheißen. Und siehe da: Nach einem kurzen Moment der Bockigkeit sprang der Wagen wieder an. Aber auch fahrtüchtig machte das Auto wenig Freude; im Leerlauf wackelte die Kiste derart hin und her, dass Rath jede rote Ampel zu fürchten lernte.
    »Goldstein scheint seinen Berlinaufenthalt ja nicht gerade zu genießen«, meinte Rath und zeigte auf das Notizbuch, »der reinste Stubenhocker, wie es aussieht.«
    Gräf nickte. »Wahrscheinlich telefoniert er den halben Tag mit Übersee und hat Heimweh.«
    »Oder er sucht sich einen gewieften Anwalt, um uns loszuwerden. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, wie weit wir gehen dürfen, auf dem Papier ist er ja schließlich ein unbescholtener amerikanischer Staatsbürger.«
    »Ich hab schon harmlosere Leute observiert als Abraham Goldstein«, meinte Gräf. »Ne, ich glaube, der hat die Schnauze voll. Ich wette, wir sehen noch diese Woche einen Pagen, der einen Gepäckwagen aus Suite dreihunderteins zum Aufzug rollt.« Gräf streckte seine Hand aus.
    »Du willst ernsthaft wetten?«
    »Ein Kasten Engelhardt. Noch vor dem Wochenende ist er weg. Spätestens.«
    Rath überlegte einen Moment und schlug ein. »Okay, ich halte dagegen.«
    In diesem Moment kam das Zimmermädchen aus der Suite 301, warf den beiden Polizisten einen neugierigen Blick zu und verschwand im Gang.
    »Ich kann mir nicht helfen«, meinte Rath, »aber irgendwie kommt mir das Mädchen bekannt vor.«
    »Natürlich. Ist dieselbe wie gestern. Und vorgestern.«
    »Nein, ich kenn sie von woanders, glaube ich. Hab nur keinen blassen Schimmer, woher. Wie lang war sie denn diesmal bei ihm drin?«
    »Keine Ahnung.« Gräf blickte nachdenklich, dann stutzte er, schaute in das Notizbuch. »Ich hab sie gar nicht reingehen sehen. Ist sie eben rein, als ich auf der Toilette war?«
    Rath schüttelte den Kopf. »Ich hab nichts gesehen. Dann muss sie wohl bei ihm übernachtet haben.«
    »Jetzt hör aber auf! Deine Fantasie geht mit dir durch.«
    »Hast du doch gestern selber gesagt: Der hat das Zimmermädchen

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