Goldstück: Roman (German Edition)
gewesen.«
»Hat es was mit den Prüfungen zu tun?«, liefert mein Vater prompt die Steilvorlage für mein kleines Geständnis. »Läuft es nicht so gut, oder was?« Eine steile Falte bildet sich auf seiner Stirn.
Jetzt ist es Mama, die dazwischenfährt. »Martin, bitte! Du siehst doch, wie schlecht sich Maike fühlt, und ich kann durchaus verstehen, wenn sie momentan etwas anderes im Kopf hat als das Studium. Schließlich war Kiki …«
»Schon gut«, unterbreche ich sie und nehme all meinen Mut zusammen, um endlich mal reinen Tisch zu machen. »Tatsächlich ist es so«, erkläre ich, »dass es mit dem Studium nicht so gut läuft. Genau genommen läuft es eigentlich überhaupt nicht.«
»Wie, überhaupt nicht?«, will Papa wissen. »Was soll das denn heißen?«
»Es heißt, was es heißt.« Jetzt gucken mich meine Eltern verständnislos an. »Ich studiere nicht mehr«, füge ich der Deutlichkeit halber hinzu. »Und zwar schon länger nicht.«
Mit einem Schlag weicht das Unverständnis blankem Entsetzen. »Bitte, was?«, braust mein Vater auf, und auch das erneut von meiner Mutter eingeworfene »Martin« kann ihn nicht bremsen. »Ich höre wohl nicht richtig!«
»Doch, Papa«, erwidere ich und merke, wie ich mich innerlich straffe. »Du hörst ganz richtig. Deine Tochter geht schon seit Monaten nicht mehr zur Uni, weil sie mal wieder durchs Examen gefallen ist. Noch dazu hat ihr das Jura-Studium noch nie sonderlich viel Spaß gemacht.« So, jetzt ist es raus.
»Keinen Spaß gemacht also?«, poltert mein Vater weiter. »Ich sag dir mal was, mein Fräulein: Wenn ich mein Leben immer nur danach ausgerichtet hätte, was mir Spaß macht …«
»Martin, bitte«, zischt meine Mutter, »die Leute drehen sich schon nach uns um.«
»Sylvia, das ist mir vollkommen gleichgültig, ich …«
»Vollkommen gleichgültig, genau!«, fahre ich ihn jetzt auch etwas lauter an. »So wie es dir auch gleichgültig ist, was ICH eigentlich will.«
»Maike!«, kommt es von Mama.
»Nichts Maike!« Mittlerweile scheint das gesamte Restaurant an unserem Streit teilzuhaben, aber das ist mir gerade total wurscht. Ich spüre eine riesige Wut in mir, die muss einfach raus. »Mein Leben lang habt ihr mir das Gefühl gegeben, für euch eine Enttäuschung zu sein und nichts richtig machen zu können. Und ich Idiotin hab sogar mit diesem blöden Studium angefangen, obwohl ich das nie wollte.«
»Immerhin haben wir dir dieses blöde Studium ein paar Jahre lang finanziert, falls du das vergessen hast!« Mittlerweile brüllt mein Vater regelrecht, Mama zuckt zusammen.
»Wie hätte ich das vergessen können? Gerade du hast ja jede Gelegenheit genutzt, um mich daran zu erinnern und mir Vorträge darüber zu halten, was ihr von mir erwartet.« Ich springe von meinem Stuhl auf und hätte dabei fast mein Glas vom Tisch gefegt.
»Setz dich wieder hin!«, befiehlt Papa.
»Nein«, sage ich. »Ich gehe. Und falls es euch beruhigt: Ich werde euch jeden einzelnen Cent, den ihr in eure missratene
Tochter investiert habt, zurückzahlen. Wenn ich mich damit von eurer Erwartungshaltung freikaufen und endlich mein eigenes Leben führen kann, ist es mir das wert.«
Meine Mutter schnappt nach Luft, mein Vater setzt zu einem weiteren Wutausbruch an – aber ich drehe mich einfach um und stürme aus dem Laden.
Draußen auf der Straße bemerke ich, dass ich am ganzen Körper zittere. Noch nie habe ich so einen Streit mit meinen Eltern gehabt. Aber erstaunlicherweise fühle ich mich gerade regelrecht befreit. Befreit und erwachsen.
So stehe ich am nächsten Nachmittag vollkommen befreit und erwachsen auf dem Ohlsdorfer Friedhof und halte Zwiesprache mit Kiki. Alles erzähle ich ihr, wirklich alles, die unmögliche Situation, in die ich mich gebracht habe, und dass ich dadurch Daniel wohl für immer verloren habe, dass ich es aber immerhin auch geschafft habe, mit meinen Eltern mal Tacheles zu reden, und wie gut sich das anfühlt.
»Es ist schon verrückt«, sage ich zu ihr, »wie lange ich gebraucht habe, um zu begreifen, dass ich mein eigenes Leben führen muss.« Ich lache kurz auf. »Wie auch immer das aussehen wird, da bin ich mir noch nicht so sicher, aber irgendwas werde ich mir eben einfallen lassen müssen.« Einen Moment bleibe ich noch schweigend vorm Grab meiner Cousine stehen, dann lege ich den Strauß mit Teerosen, den ich mitgebracht habe, vor ihren Stein. »Du fehlst mir«, flüstere ich. »Immer und jeden Tag, ich vermisse dich ganz
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