Goldstück: Roman (German Edition)
sie?«
»Ich bin«, lese ich vor, »sehr, sehr enttäuscht von Dir! Lass meinen Bruder bloß in Ruhe und melde Dich nie wieder bei ihm. Er hat Dir vertraut. Ich hab Dir vertraut! D.«
»Ähm, ja«, meint Nadine. Dann gießt sie mir noch ein Glas Wein ein.
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29. Kapitel
D ie nächsten Wochen verlaufen besser als gedacht. Mal davon abgesehen, dass ich fast jede Nacht durchheule und auch tagsüber immer mal wieder in Tränen ausbreche, geht zumindest mein Wohnungsplan reibungslos auf: Tatsächlich hat die Frau, die die gesamte Wohnung mieten wollte, noch nichts anderes gefunden und will meine Räume sofort übernehmen. Tiedenpuhl willigt ebenfalls ein – als hätte er geahnt, dass ich mir die Miete bald sowieso nicht mehr leisten kann. Ohne die Coachings herrscht bei mir wieder totale Ebbe in der Kasse, aber ich war trotzdem irgendwie erleichtert, nachdem ich allen Klienten mitgeteilt hatte, dass ich wegen einer beruflichen Veränderung erst einmal keine Termine mehr wahrnehmen kann. Das Kapitel ist also definitiv abgeschlossen.
So hause ich im Gästezimmer bei Ralf und Nadine, gehe brav bei Roger arbeiten und hadere ansonsten mit meinem Schicksal. Von Daniel habe ich nichts mehr gehört, aber das war ja irgendwie klar. In dem Moment, als ich das mit Gunnar erfunden hatte, wusste ich, dass ich ihn damit für alle Zeiten los bin. Was er jetzt wohl macht? Ob er wieder mit dieser grässlichen Sarah zusammen ist? Ich versuche, mir einzureden, dass mir das egal sein kann und dass er in der Tat ein erwachsener Mann ist. Nur gelingt mir das meistens nicht so gut, allein die Erinnerung an Sarahs eiskalte Augen lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Mein süßer, toller Daniel – es darf einfach nicht sein, dass diese Frau ihn jetzt in ihren Krallen hat!
Manchmal werde ich morgens von meinem eigenen Schluchzen wach, weil ich nachts so intensiv von ihm geträumt habe und ihn so sehr vermisse, dass ich es kaum aushalten kann. Da sind so viele Erinnerungen an ihn: wie er das erste Mal vor mir
stand und mir bei seinem Anblick fast die Luft wegblieb, unser Tag im Heide-Park, als er wieder und wieder total begeistert in die Achterbahn gesprungen ist, der erste Kuss von ihm, unsere gemeinsamen Nächte, das Gefühl seiner warmen Haut auf meiner und wie er morgens immer ausgesehen hat, mit verpennten Augen und verstrubbelten Haaren … ach, ich glaube kaum, dass ich ihn jemals vergessen kann.
Bei dem Gedanken an Daniel zieht sich mein Herz in einem schmerzhaften Krampf zusammen, und wenn ich mir vorstelle, dass ich ihn vielleicht nie wiedersehe, muss ich gleich wieder losheulen. Warum habe ich damals nicht sofort die Wahrheit gesagt, als er vor mir stand? Diese Frage geht mir wieder und wieder durch den Kopf. Wäre dann alles anders gelaufen? Oder wäre er einfach gegangen, und die Geschichte mit uns hätte nie angefangen? Ich weiß, dass das am wahrscheinlichsten ist, trotzdem besteht natürlich eine klitzekleine Chance, dass sich etwas zwischen ihm und mir entwickelt hätte. Hätte ich diese Chance nur genutzt, hätte ich bloß auf die sechshundert Euro gepfiffen!
Ein paarmal stand ich schon kurz davor, Dorothee oder Markus anzurufen, die sich natürlich – von Dorothees SMS mal abgesehen – auch nicht mehr bei mir gemeldet haben, weil sie ihm gegenüber absolut loyal sind. Was würde es auch bringen, mit einem von ihnen zu sprechen? Es gibt nichts mehr, was ich tun kann. Das habe ich mir alles schön und ganz alleine eingebrockt – jetzt muss ich die Suppe eben auch alleine auslöffeln.
Thema Suppe auslöffeln: Nachdem eh schon alles im Dutt ist, beschließe ich an einem Donnerstagabend, meinen Eltern endlich auch mal die Wahrheit zu sagen. Wir sitzen in Mamas und Papas Lieblingsrestaurant – einem schicken Franzosen in Harvestehude –, ich stochere etwas lustlos in meinem Coq au Vin herum, als meine Mutter mich darauf anspricht.
»Was ist denn los, Schatz?«, will sie wissen. »Du isst ja kaum was, geht’s dir nicht gut?«
Ich zucke mit den Schultern. »Geht so«, erwidere ich und lege mein Besteck zur Seite.
»Kind«, fährt meine Mutter fort, »wir wissen, wie sehr dich Kikis Tod immer noch bedrückt. Nur langsam mache ich mir Sorgen, wenn du noch dünner wirst.«
»Es ist gar nicht wegen Kiki«, antworte ich, verbessere mich dann jedoch: »Das heißt, es ist nicht nur wegen Kiki. Klar bin ich oft noch sehr traurig, aber in letzter Zeit sind noch andere Dinge los
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