Goldstück: Roman (German Edition)
Wie gesagt, kein Mann, kein Haus, kein Kind. Als Auto fuhr ich bis vor kurzem einen zerbeulten Twingo, den leider ein aku
tes Herzversagen dahinraffte, seitdem bin ich zu Fuß oder mit einem klapprigen Hollandrad unterwegs. Mein Freundeskreis ist relativ überschaubar und besteht eigentlich nur aus Kiki und meiner Kollegin Nadine aus dem Sonnenstudio. Das Verhältnis zu meinen Eltern ist von jeher gespannt, und überhaupt stehe ich nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Und, ja, mein Nebenjob, der ehrlicherweise schon längst in einen Hauptjob übergegangen ist, geht mir schon lange auf die Nerven und ist noch dazu schlecht bezahlt.
Aber was soll ich denn anderes machen, ich hab ja nicht einmal einen vernünftigen Abschluss oder eine Ausbildung? Seufzend drehe ich mich auf den Rücken, starre an die Decke und zermartere mir weiter den Kopf.
Gut, wenn ich ehrlich bin, hätte ich selbst mit bestandenem Examen nicht wirklich gewusst, wie es danach hätte weitergehen sollen. Gunnar gegenüber hab ich zwar immer behauptet, ich würde mich nach dem Referendariat am liebsten bei einem großen Unternehmen in der Wirtschaft bewerben, aber so richtig gut konnte ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Zahlen waren noch nie meins. Das immerhin hat mich doch mit Jura verbunden. Wie heißt es so schön: iudex non calculat , der Richter rechnet nicht. Tja, aber über meine Karriere als Juristin muss ich mir ohnehin keine Gedanken mehr machen. Darüber, wie es in Zukunft mit mir weitergehen soll, allerdings schon. Und genau da liegt das Problem: Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich machen könnte. Außer dass ich nicht vorhabe, für sieben Euro fünfzig pro Stunde im Sonnenstudio alt zu werden.
Aber was dann? Als ich noch zur Schule ging, hatte ich immer große Freude daran, meine Klassenkameradinnen zu schminken oder ihnen die Haare zu flechten, das konnte ich ziemlich gut. Als ich jedoch mit vierzehn zu meinen Eltern sagte, dass ich gern Visagistin werden würde, lachten sie nur. »Du willst doch wohl nicht als Frisöse enden?«, war der einzige Kommentar meines
Vaters. Für ihn als Arzt war so etwas unvorstellbar. »Selbstverständlich machst du Abitur und gehst danach zur Uni«, fügte meine Mutter hinzu, die nach meiner Geburt ebenfalls gleich als Ärztin weitergearbeitet hatte, »das haben in unserer Familie alle so gemacht.«
Damit war das Thema dann vom Tisch, und heute helfe ich nur noch hin und wieder Kiki, wenn ein besonderer Anlass ansteht. Nadine habe ich sogar für ihre Hochzeit mit ihrem Freund Ralf aufgerüscht, und sie sah richtig klasse aus.
Jetzt drehe ich mich auf den Bauch und vergrabe den Kopf im Kissen. Das sind ja wirklich solide Fähigkeiten, die ich habe, demnächst wird mich wahrscheinlich ein Headhunter anrufen, um mich in irgendeine Vorstandsetage zu beordern. Leute, die in meinem Alter noch nichts auf die Kette gekriegt haben, werden ja bekanntermaßen händeringend gesucht!
In meinem Alter. Wieder ist dieser Gedanke da, und plötzlich zieht sich das Selbstmitleid wie ein erdrückender Stahlhelm über meinen Kopf. Mit fast dreißig wieder völlig allein. Gehen Sie nicht über »Los«, ziehen Sie nicht viertausend Euro ein. Es ist nicht nur der Job, der mir Sorgen macht. Was ist mit Partnerschaft? Mit Kindern, mit Familie? Wird mir das alles verwehrt bleiben, hocke ich irgendwann als Sozialfall mit dreiundzwanzig Katzen in einem Dreckloch? Ich spüre, wie mir wieder die Tränen in die Augen schießen. Was ist der Sinn von allem? Was ist der Sinn von diesem ganzen verdammten Scheißleben?
Ich stehe auf, tapse leise durch den dunklen Flur in die Küche – Kiki scheint auch schon im Bett zu sein – und hole mir noch ein Glas Rotwein. Ja, ich trinke zu viel. So what?
Als ich am nächsten Morgen um kurz nach elf wieder in die Küche komme, hoffe ich mit halbem Herzen, dass Kiki am Frühstückstisch sitzt und auf mich wartet. Das tut sie natürlich nicht, sie ist schon längst vorne in ihrem Büro und arbeitet
fleißig. Aber immerhin finde ich noch heißen Kaffee in der Maschine vor, den kann ich gut gebrauchen, denn in meinem Kopf jault ein amtlicher Kater. Wahrscheinlich hat Kiki doch recht, auf Dauer ist Alkohol wohl keine Lösung. Und da ich bereits um zwölf im Sonnenstudio sein muss, werde ich da heute wohl ein wenig zerknittert auftauchen. Aber egal, ich werde schließlich nicht für mein gutes Aussehen bezahlt, wobei ich mir mit meinem Äußeren meistens schon Mühe gebe.
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