Goldstück: Roman (German Edition)
Oder, wie hatte Gunnar etwas hilflos versucht, mich nach der vergeigten Prüfung zu trösten? »Okay, du bist durchgefallen. Aber dabei hast du bestimmt besser ausgesehen als alle anderen.« Haha, sehr witzig! Vor allem, wenn man bedenkt, dass er mich kurze Zeit später abserviert hat.
Seufzend schenke ich mir eine große Tasse Kaffee ein und setze mich an unseren Küchentisch. Mein Blick fällt auf ein Blatt Papier, das dort liegt. Ein Brief an mich. Von Kiki.
Liebe Maike,
es tut mir wirklich leid, was gestern Abend passiert ist, bitte glaub mir das! Wenn Du magst, komm doch heute nach der Arbeit in meinem Büro vorbei. Ich muss heute länger machen und habe eine kleine Überraschung für Dich.
Kiki
Lächelnd falte ich den Brief zusammen und stecke ihn in die Tasche meines Bademantels. Freut mich, dass Kiki mir geschrieben hat. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es geschafft hätte, den ersten Schritt zu tun, meistens harre ich ziemlich lange in meinem Schmollwinkel aus. Umso netter, dass Kiki von sich aus auf mich zukommt. So schreibe ich auf einen neuen Zettel »Alles klar, bis heute Abend!« und lege ihn im Flur vor die Durchgangstür zu Kikis Arbeitsbereich. Wenn sie sich mittags etwas zu essen macht, wird sie die Nachricht finden.
Pfeifend suche ich mir ein paar Klamotten für heute aus dem Kleiderschrank und flitze damit Richtung Badezimmer. In einer halben Stunde muss ich im Studio sein, höchste Zeit für Duschen und Zähneputzen. Mit Elan stürme ich durch die Tür – und bleibe wie angewurzelt stehen.
»Oh!«
»Oh!«
Mit dem Rücken zu mir, dafür aber gut sichtbar vor dem großen Spiegel überm Waschbecken aufgebaut, steht Stefan, so wie Gott ihn schuf. Seine dunkelblonden Haare sind nass und zurückgekämmt, zwischen seinen Schulterblättern glitzern ein paar Wassertropfen, die über seinen Rücken bis hinunter zu seinem knackigen Po perlen, seine Haut ist leicht gebräunt, überall zeichnen sich guttrainierte Muskeln ab. Stefans Gesichtsausdruck allerdings mindert diesen Anblick von Perfektion ein wenig: Er starrt mich entsetzt an, zwischen seinen Lippen steckt eine Zahnbürste, und er hat hellblauen Schaum vorm Mund.
»Hmaige«, nuschelt er, greift nach dem erstbesten Stofffetzen, den er zu fassen kriegt (einen Waschlappen), hält ihn sich ungelenk vor seine Körpermitte und spuckt die Zahnpasta ins Waschbecken. »Ich wusste nicht, dass du noch in der Wohnung bist«, sagt er dann und versucht noch immer, sich den viel zu kleinen Waschlappen um die Hüfte zu schlingen.
»Da sind wir schon zwei, die nichts von unserer Anwesenheit wussten«, gebe ich amüsiert zurück.
»Ja, ähm.«
Jetzt dreht er sich ungelenk zur Seite und versucht, nach seiner frischen Unterwäsche zu hangeln, die auf dem Toilettendeckel liegt. Bei dem Versuch wäre er fast hingefallen – und ich kann nicht anders, als in brüllendes Gelächter auszubrechen.
»Stefan«, bringe ich lachend hervor, »denkst du, ich habe noch nie einen nackten Mann gesehen?« Jetzt hat er seine Boxershorts erwischt.
»Hast du?«, bringt er mit gequältem Lächeln hervor und will damit offenbar einen Witz machen, während er unter umständlichen Verrenkungen in seine Hose schlüpft, ohne dabei den Waschlappen loszulassen.
»Ja, klar«, erwidere ich kichernd. »Manche legen es regelrecht darauf an. Was meinst du, wie oft mich ein Kerl in seine Kabine ruft? ›Hallo, ich kriege den Solariumdeckel nicht mehr hoch!‹, ›Tschuldigung, könnten Sie mir noch ein zweites Handtuch bringen?‹ Und dann stehen die Typen vor mir, splitterfasernackt. Frage mich, ob die meisten denken, ich würde allein bei ihrem Anblick die Beherrschung verlieren und mich in der Kabine auf sie stürzen.« Ich mache eine Pause und grinse Stefan an. »Wobei«, ich lasse meinen Blick anerkennend über seine Bauchmuskeln wandern, die ein beeindruckendes Sixpack bilden, »die wenigsten machen dabei so eine gute Figur wie du, das muss ich schon sagen.«
»Vielen Dank, gnä’ Frau!«, antwortet Stefan und grinst nun auch breit. Halbwegs bekleidet, findet er schnell zu seinem üblichen Selbstbewusstsein zurück. »Alles hart erarbeitet«, sagt er und schlägt sich mit der flachen Hand auf den Bauch.
Da hat Stefan recht. Als Personal Trainer stehen für ihn jeden Tag etliche Stunden Sport auf dem Programm – und das ist ihm eben anzusehen. »Stefan kümmert sich bei seinen Kunden um den Körper, ich um den Kopf«, erklärt Kiki gern, warum sie beide so gut
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