Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
Vom Netzwerk:
sich durch den Lärm, den Josef in seiner Zerstörungswut machte, nicht stören ließen, sie drehten sich noch nicht einmal um, ihre gefletschten Zähne, ihr Knurren und Fauchen galten dem eigenen Bruder, den Hunger und Gier zum Feind gemacht hatten.
    Auch Josef hatte die Hunde nun bemerkt. Jankel konnte sehen, dass er kurz stutzte, dann machte er ein paar Schritte, hob die Keule und ließ sie auf den Rücken eines Hundes fallen, der mit einem schrecklichen Aufheulen zusammenbrach und mit zuckenden Vorderläufen liegen blieb, den brechenden Blick anklagend auf den gerichtet, der ihm diese furchtbaren Schmerzen zugefügt hatte. Da hob Josef schon wieder die Keule, doch nun stürzten sich die anderen Hunde auf ihn, die ganze Meute fiel bellend und knurrend über ihn her, auf einmal herrschte ein Höllenlärm. Sie verbissen sich in seiner Kleidung, in seinen Beinen, sprangen an ihm hoch, um seinen erhobenen Arm zu erreichen. Einer hatte die Zähne in seine Hand geschlagen, und Jankel sah, wie Josef ihn mit seinen ruckartigen Bewegungen abschüttelte. Dann bückte er sich, packte den größten und wildesten Hund im Nacken und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen die nächste Hauswand, sodass Jankel meinte, seine Knochen brechen zu hören. Das Tier fiel zu Boden, mit verrenkten Gliedern und gebrochenen Augen, aus seinen Ohren und seinem Maul lief Blut und bildete kleine Lachen auf dem Pflaster. Josef schlug nun wild auf die Tiere ein, und es dauerte nicht lange, da wurden das Fauchen, Knurren und Bellen leiser und erstarben schließlich ganz, bis auch das jämmerliche Jaulen aufhörte und eine tödliche Stille über der Gasse lag.
    Josef stand da und betrachtete die erschlagenen und sterbenden Hunde, seine Hand mit der Keule hing an seiner Seite herunter. Auch Schmulik und Jankel waren stehen geblieben und betrachteten die Tiere, die gerade noch lebendig gewesen waren.
    Es mochten einige Minuten vergangen sein, in denen sie innehielten, in denen weder Schmulik noch Jankel es wagten, sich zu bewegen, bis auf einmal ein paar Häuser weiter eine Tür aufging und zwei Kinder heraustraten, ein Mädchen, das kaum älter war als Rochele, und ein noch kleinerer Junge. Hand in Hand kamen sie heraus und blieben vor dem Haus stehen, erschrocken vom Anblick der toten Hunde und der riesigen Gestalt Josefs, der plötzlich die Keule hob und wieder anfing, auf die nächsten Theken und Häuser einzuschlagen, mal nach dieser Seite, mal nach jener, und die Kinder standen reglos da und starrten ihn mit aufgerissenen Augen an, bis der kleine Junge seine Angst laut herausschrie.
    In diesem Moment kam Leben in Schmulik, er setzte zu einem Sprung an. Jankel sah, wie er sich unter den Keulenschlägen Josefs hindurchduckte, zu den Kindern hinüberrannte, sie zum Haus und durch die Tür stieß und diese mit einem lauten Knall schloss, bevor er sich zu Josef umdrehte. Nun erst konnte Jankel sein Gesicht sehen, das in der Dämmerung leuchtete, blass wie der Mond im Winter. Er hob die Hand, um dem Freund zu zeigen, dass er da war, aber dieser bemerkte ihn nicht, der Blick seiner schönen Augen, die dunkel waren vor Zorn oder vor Angst, war auf Josef gerichtet, ganz langsam machte er ein paar Schritte vorwärts, auf Josef zu.
    Jankel war wie gelähmt, die Angst wühlte in seinen Eingeweiden, sein ganzer Körper schmerzte. Die Welt fiel aus ihrer natürlichen Ordnung, es gab nichts mehr außer der Judenstadt, nichts mehr außer den Fleischbänken, außer dieser Gasse, in der ein jüdischer Bocher, ein schöner rötlicher Knabe, dem Riesen entgegenging, ein zierlicher David gegen den gerüsteten Goliath, aber David hatte keine Schleuder in der Hand, und er trug keine Hirtentasche, aus der er einen der fünf glatten Steine hätte nehmen können, die er vorher aus dem Bach gewählt hatte, das hätte ihm auch nichts genützt, denn der Riese vor ihm besaß keine Stirn, durch die ein geschleuderter Stein hätte dringen können. Auf natürliche Weise war dieser Feind nicht zu besiegen.
    »Nein!«, schrie Jankel. »Nein!« Und dabei wusste er, dass er nichts mehr tun konnte. Die Engel befahlen der Welt stillzustehen, den Winden innezuhalten, den Vögeln zu schweigen und der Zeit, ihren Lauf zu unterbrechen, und jede Sekunde dehnte sich zu einer Ewigkeit.
    Und dann sah Jankel, wie Schmulik die Muskeln spannte, wie er sich duckte und zu einem mächtigen Satz ansetzte, und zugleich sah er, wie Josef die Keule hob, und genau in dem Moment, in dem Schmulik die Hand

Weitere Kostenlose Bücher