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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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ausstreckte und Josef das Pergament aus dem Mund riss, sauste Goliaths Keule auf Davids Kopf nieder, ein Schrei, ein einziger Schrei nur, und beide brachen zusammen und der Riese begrub den jungen David unter sich.
    Jankel schloss die Augen und flehte den Ewigen an, es möge nur ein Traum sein, aus dem er bald erwachen würde, doch als er die Augen wieder aufmachte, sah er, dass es kein Traum gewesen war. Josef lag auf dem Pflaster, reglos, sein Umhang hatte sich beim Fallen ausgebreitet und verdeckte den anderen, den er unter sich begraben hatte.
    I ch hatte das Gefühl zu sterben, mir war, als rinne mir das Blut aus dem Kopf auf die Straße und mische sich mit dem Blut der Hunde, die Josef erschlagen hatte. Erst als einer der Hunde noch einen letzten Klageton ausstieß, der langsam erstarb, konnte ich mich bewegen und rannte los. Ich rannte und rannte, dabei waren es doch nur ein paar Schritte, die mir aber länger vorkamen als mein ganzer Weg von Mo ř ina nach Prag. Josef lag auf dem Bauch, sein Gesicht war nicht zu sehen, und sein dunkelbrauner Umhang hatte sich ausgebreitet und bedeckte Schmulik.
    Meine Hände bebten, als ich mich neben der riesigen Gestalt auf den Boden kauerte und den Umhang anhob. Selbst heute, nach so langer Zeit, fällt es mir schwer zu erzählen, was ich sah. Schmuliks Gesicht lag weiß auf dem grauen Pflaster, und seine roten Haare waren röter als das Blut, das ihm aus den Ohren und den Mundwinkeln quoll. Seine Augen standen offen, und sein Mund war zu einem Lachen verzogen, zu einem triumphierenden Lachen. Noch hatten seine Lippen Farbe, noch war seine Haut warm, als ich, unfähig zu irgend einem Gedanken, die Hände ausstreckte und sie auf sein Gesicht legte und ihm die schönen Augen schloss.
    Ich weiß nicht, wie lange ich ihn anschaute, ich weiß auch nicht, was ich empfand, außer einer unendlichen Leere. War meine Seele aus meinem Körper entflohen, um sich Schmuliks Seele anzuschließen? Denn ich sah zu, wie seine Seele den Körper verließ, sein Gesicht veränderte sich, seine Augen sanken ein, seine Haut wurde fahl und gelblich und sogar die Lippen verloren ihre Farbe, ich sah zu, wie das Leben aus ihm wich.
    Ich schlug den Umhang noch weiter zurück, unter Josefs Achselhöhle lag eine weiße Hand, die Hand meines toten Freundes, und zwischen seinen geschlossenen Fingern lugte ein Stück Pergament hervor. Mit bebenden Händen, fast blind vor Schmerz, löste ich seine Finger, die ganz weich und nachgiebig waren, und hielt das Pergament in der Hand. Wer beschreibt mein Entsetzen, als ich sah, dass ein Buchstabe herausgerissen war, er musste zwischen Josefs Zähnen hängen geblieben sein. Es war nur ein Alef, das fehlte, mehr nicht, doch nun stand nicht mehr » Elohim emet «, Gott ist wahr, auf dem Pergament, sondern »Elohim met«, Gott ist tot. Mir wurde es schwarz vor den Augen und ich sank zu Boden. Ich glaube, ich verlor die Besinnung.
    J ankel kam erst wieder zu sich, als sein Onkel seinen Namen rief. Er machte die Augen auf und sah, dass viele Männer um ihn herumstanden, allen voran Rabbi Löw, der von Jizchak und Schimon gestützt wurde. »Der Mensch hat die Herrschaft über sein Geschöpf verloren«, murmelte der Rabbi, »ich hätte es ahnen müssen …« Und Jankel sah, dass er weinte, er, der Hohe Rabbi.
    Die Männer bückten sich und hoben Josefs schweren, massigen Körper von Schmulik herunter. Jankel wandte den Kopf ab, er wollte etwas sagen, aber nur ein Krächzen kam aus seiner Kehle, wortlos hielt er seinem Onkel das Pergament hin. Der Rabbi musste sich tief bücken, um es zu nehmen, dann las er es und erbleichte, sein Atem ging keuchend, und er stützte sich schwer auf seine Begleiter, ohne deren Hilfe er wohl zu Boden gesunken wäre. »Gott ist tot«, flüsterte er so leise, dass keiner ihn verstand, aber Jankel hatte es an der Bewegung seiner Lippen gelesen.
    Es fing an zu regnen, die schweren Wolken, die seit Stunden über der Stadt gehangen hatten, öffneten sich nun und das Wasser ergoss sich gleichermaßen über die Stadt und ihre Häuser, über die Gassen und Gässchen, über die toten Hunde und die Menschen, über die Lebendigen und die Toten.
    I ch blieb sitzen, ich widerstand dem Rabbi und den anderen, die mich mitnehmen wollten. Ich blieb auch sitzen, als die Männer der Beerdigungsbruderschaft kamen und Schmulik eine Flaumfeder unter die Nase hielten, um sicher zugehen, dass kein Atem mehr in ihm war. Erst als sie sahen, dass die Feder sich nicht

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