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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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protestierte. »Es war Josef!«
    Schmulik ließ die Hand abwehrend durch die Luft fliegen. »Josef ist ein Golem, versteh das doch endlich. Er ist das Geschöpf Rabbi Löws, so wie wir die Geschöpfe Gottes sind. Was ist mit dir? Willst du lieber das Werkzeug loben oder den Meister?«
    Jankel schüttelte den Kopf. »Trotzdem war es Josef, der die Judenschlächter aufgehalten hat, nicht der Rabbi!«
    Schmulik widersprach. »Wenn ein Wolf eine Herde Lämmer angreift und ein Jäger ihn tötet, wem verdanken die Lämmer dann ihr Leben, dem Pfeil, der das Raubtier durchbohrte, oder dem Jäger, der den Bogen spannte?«
    Jankel schwieg, darauf wusste er keine Antwort. Deshalb fragte er: »Weißt du, was mit Mendel ist?«
    Schmulik ließ sich gerne ablenken. »Sie sind alle wohlauf, die Judenfeinde sind gar nicht bis zu ihrer Gasse gekommen. Ich war schon dort, auch Fejgele geht es gut, ich habe sie gesehen.«
    »Dem Ewigen sei Dank«, sagte Jankel. Schmulik nickte und wandte errötend sein Gesicht ab.
    Im Inneren der Synagoge wurde es still, ein Zeichen dafür, dass der Rabbi eingetreten war. Schmulik und Jankel drängten sich zwischen den anderen hindurch bis zum Hohen Rabbi Löw. Um ihn herum standen seine Anhänger Jizchak, Schimon und andere Talmudschüler. Der Rabbi hob abwägend die Hände, eine Bewegung, die Jankel nun schon so gut kannte, und alle schauten auf diese weißen Hände, die sich im Dämmerlicht des Raums bewegten wie die beiden Flügel eines Engels.
    »Rabbi!«, rief ein Mann erregt und trat einen Schritt näher. »Rabbi, mir ist ein Sohn geboren worden! Stellt euch vor, in den Stunden des Pogroms wurde mir ein Sohn geboren, der Ewige sei gelobt.«
    »Er möge leben und gesund sein«, sagte der Rabbi. »Nach den sieben Tagen der Trauer um unsere Toten werden wir uns am achten Tag treffen, um die Beschneidung deines Sohns zu feiern. Zum Dank für unsere Errettung sollst du ihn Immanuel nennen, Gott war mit uns.«
    Die Umstehenden wandten sich dem Mann zu, drückten ihm die Hände und wünschten seinem neugeborenen Sohn Gesundheit und ein langes Leben und priesen den, der Wunder tut und mitten im Elend ein Kind auf die Welt kommen ließ. Auf einmal mischten sich Freude und Hoffnung in ihre Stimmen. Ein Sohn, Reb Jecheskel ist ein Sohn geboren! Gepriesen sei er, der zwischen Finsternis und Licht unterschied.
    Der Rabbi hob noch einmal die Hände zum Zeichen, dass er etwas sagen wollte, und es wurde wieder still, aller Augen waren auf ihn gerichtet, diesen hohen Mann, der sie alle überragte. Er strich sich über den Bart, bevor er zu sprechen begann. »Juden«, sagte er, »Brüder«, und bei diesem Wort zitterte seine Stimme ein wenig. »Brüder, hört, was ich euch sage: Wir haben einen schweren Tag durchgemacht. Unsere Häuser wurden beschädigt, wir haben Verletzte zu beklagen und auch Tote, von denen wir noch nicht genau wissen, wie viele es sind, und unsere Herzen weinen um jeden einzelnen. Aber das große Schlachten, das uns drohte, ist ausgeblieben, dafür müssen wir ihm danken, der Himmel und Erde gemacht hat. Erst aus der größten Gefahr entsteht die Gnade. Er, der Herr über Leben und Tod, ist furchtbar, furchtbar, furchtbar! Die Furcht ist das Tor zu ihm und es führt kein Weg zu ihm als durch das dunkle Tor. Nur wer durch dieses Tor gegangen ist, kann ihn wahrhaft lieben. Drum hüllt euch in euren Tallit und lasst uns in Demut vor ihn treten und ihn preisen.«
    Während sich die Männer ihre Gebetsmäntel umhängten, ihre Köpfe bedeckten und ihre Gebetbücher herausnahmen, warfen sich Schmulik und Jankel verlegen einen Blick zu, sie hatten beide ihre Tallitbeutel nicht mitgebracht.
    Da stürzte ein Junge herein, ein Knabe, höchstens zehn, elf Jahre alt, und rief laut: »Wo ist der Rabbi? Ich muss zum Hohen Rabbi!«
    Es war Levi, der Sohn eines Schächters, der mit zerrauften Haaren und in unordentlicher Kleidung hereinkam, und die Männer machten ihm Platz. »Rabbi, ihr müsst uns helfen!«, schrie der Junge aufgeregt. »Josef …« Seine Stimme überschlug sich.
    Der Rabbi beugte sich zu ihm. »Was ist geschehen? Wobei soll Josef helfen?«, drängte er. »Sprich, Knabe!«
    Der Junge schüttelte heftig den Kopf. »Der böse Geist ist in ihn gefahren«, rief er. »Er schlägt alles zuschanden, drüben bei den Fleischbänken. Was die Judenfeinde heil gelassen haben, zerschlägt jetzt Josef.« Der Junge fing an zu weinen. »Rabbi, er schlägt auf jeden ein, der sich ihm in den Weg stellt. Er

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