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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Dankbarkeit, als er an Josef dachte, doch da riss ihn schon wieder eine Stimme aus seinen Gedanken. »Bei mir haben sie Türen und Fenster zerschlagen«, sagte ein junger Jude mit hellen, karottenfarbenen Haaren.
    Ein dicker Mann mit einem fast kahlen Kopf stöhnte auf, raufte sich den Bart und fing laut an zu weinen. »Ich wünschte, bei mir wären es nur Türen und Fenster«, brach es aus ihm heraus. »Meine Tochter, meine Gittel… ein Engel von einem Kind …« Zwei Männer stützten ihn und führten ihn zu einem Stuhl, den ein anderer sofort für ihn freimachte. Da saß er dann, das Gesicht in die Hände vergraben, mit zuckenden Schultern, und seine Freunde machten nicht einmal den Versuch, ihn zu trösten.
    Reb Schmiel, ein Fleischer, beklagte laut, dass sie bei ihm eingedrungen seien und das ganze Fleisch und die Würste durch das Fenster auf die Gasse geworfen und damit alles verunreinigt hätten, kein Jude würde ihm die Ware abnehmen, die jetzt unrein geworden sei, was für ein Verlust, ein junges, gesundes Rind, ganz zu schweigen von den Würsten… Ihm kamen fast die Tränen, aber ein Mann, den Jankel nicht kannte, legte ihm den Arm um die Schulter und sagte tröstend: »Beweine du ruhig das tote Fleisch des Rindes, Schmiel, das ist jedenfalls besser, als wenn wir dein totes Fleisch beweinen müssten.«
    »Das ganze Fleisch«, wiederholte Reb Schmiel. »Und nicht nur bei mir haben sie das so gemacht, auch bei den anderen Fleischern. Fleisch und Wurst, alles auf die Straße. Es hat nicht lange gedauert und alle Hunde der Stadt waren da und haben sich um die Beute gestritten. Vermutlich sind sie immer noch dort, bei der Menge an Fleisch und Knochen und allem. Was für uns ein Tag der Trauer ist, ist für sie ein Freudenfest.«
    Jankel schob sich zwischen den Männern hindurch in Richtung Vorraum, als er plötzlich den Namen des Silberschmieds hörte und erschrocken stehen blieb.
    »Reb Naftali hat es nicht überlebt«, sagte ein Mann mit einem dichten, grauen Bart und wiegte bekümmert den Kopf hin und her. Er senkte die Stimme, als er fortfuhr: »Und seine Frau wird sich wünschen, auch tot zu sein, nach allem, was sie ihr angetan haben, diese Söhne des Teufels.« Zwei, drei Männer seufzten tief, und einer sagte: »Der Zorn des Herrn möge sie treffen, ausgelöscht seien ihre Namen.« Die anderen nickten und hoben die Arme, als wollten sie den Ewigen, gelobt sei er, zum Zeugen aufrufen.
    Jankel ging schnell weiter. Vor seinen Augen sah er Reb Naftali auf dem Pflaster liegen, wie er sich unter den Stiefeln krümmte, die auf ihn eintraten, und in seinen Ohren gellte der verzweifelte Aufschrei von Reb Naftalis schöner, junger Frau. Er ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass ihm die Fingernägel ins Fleisch schnitten, um durch den Schmerz die Gedanken zu vertreiben.
    Gerade als er beschloss, die Synagoge zu verlassen und zum Haus seines Freundes zu gehen, sah er ihn die Stufen herunterkommen, gefolgt von seiner Mutter und seinen Schwestern. Die Frauen bahnten sich einen Weg zum Frauen schiff und Schmulik schaute sich suchend um. »Hier bin ich!«, rief Jankel und dann fielen sich die beiden Freunde in die Arme.
    E r war da. Während ich ihn gesucht hatte, war meine Angst, er könnte zu den Opfern gehören, immer stärker geworden, auch wenn ich diesen Gedanken nicht wirklich zuließ. Erst als ich ihn sah, als ich seine Stimme hörte, spürte ich, wie groß meine Erleichterung war, so groß, dass ich vor Freude fast geweint hätte wie ein Kind.
    I ch hatte Angst um dich«, sagte Jankel. Und Schmulik sagte: »Ich auch um dich. Aber dann habe ich dich gesehen. Ich war mit meiner Mutter und meinen Schwestern hierhergeflohen, in die Altneuschul, ich stand zwischen all den anderen, als ihr hereingekommen seid, du und Rochele. Ich habe gesehen, wie du mit ihr die Treppe hinaufgestiegen bist, und wäre euch am liebsten gefolgt, aber ich konnte meine Mutter und meine Schwestern doch nicht allein lassen, verstehst du?«
    Jankel nickte. »Wir waren auf dem Dachboden.«
    »Es war schrecklich«, sagte Schmulik und schüttelte sich. »Wir haben von draußen die Schreie der Judenfeinde gehört und geglaubt, sie würden jeden Moment die Tür einschlagen.«
    »Josef hat sie aufgehalten«, sagte Jankel. »Ich habe es von oben gesehen, er hat die Judenschlächter aufgehalten, bis die kaiserlichen Soldaten gekommen sind.«
    »Gelobt sei er, der uns in der Not den Hohen Rabbi geschenkt hat«, sagte Schmulik.
    Jankel

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