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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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hat meinen Onkel Schmarjahu zu Boden geschlagen, den Bruder meiner Mutter. Sie schickt mich, ihr müsst uns helfen!«
    Der Rabbi schwankte, Jankel konnte genau sehen, wie das Blut aus seinem Gesicht wich und sein Körper zusammenzubrechen drohte. Er wollte hinzuspringen, um ihn zu stützen, aber einige aufmerksame Talmudschüler kamen ihm zuvor. Der Rabbi schien in wenigen Momenten um Jahre zu altern, sein Gesicht zerfiel in Falten, seine Wangen sanken ein. Er winkte mit zitternder Hand nach Jizchak, und als dieser sich zu ihm beugte, stieß er mit einer Stimme aus, die Jankel noch nie bei ihm gehört hatte und die ihm einen Schauer über den Rücken jagte, weil sie so hohl klang wie das Echo, das aus einer Grabeshöhle aufsteigt: »Jizchak, du musst Josef aufhalten. Nimm ihm das Pergament aus dem Mund, schnell, nimm ihm den Lebensfunken, bevor er ins Prag der Christen gelangt, sonst sind wir verloren, hörst du. Wenn er auch nur einen Christen tötet, ist das unser Untergang, dann kann uns selbst der Kaiser nicht mehr helfen.«
    Jizchak wich einen Schritt zurück, zog die schmalen Schultern hoch und hob die feingliedrigen Hände. Seine schwarzen Haare sträubten sich, sein Mund ging auf und zu wie zu einem Schrei, aber es war nur ein Flüstern, das aus seiner Kehle kam. »Rabbi, wie soll ich …« Er war ein Bild des Schreckens und der Schwäche.
    In diesem Moment schob sich Schmulik an ihm vorbei, mit einem vor Erregung geröteten Gesicht. »Rabbi, ich werde es tun«, rief er. »Ich! Ich!« Und bevor ihn jemand zurückhalten konnte, drängte er sich schon durch die Menge in Richtung Ausgang. Jankel sah, wie der Rabbi abwehrend die Hände hob, doch er wartete die Worte seines Onkels nicht ab, er lief dem Freund hinterher.
    Schwere Regenwolken hingen über der Judenstadt und gaukelten eine Dämmerung vor, die noch nicht eingesetzt hatte. Es war die Stunde zwischen Mincha* und Ma’ariw*, die Zwischenzeit, in der die Dämonen sich auf ihr nächtliches Leben vorbereiten. Schmulik war nur noch als Schatten auf dem Weg zu den Fleischbänken zu erkennen, Jankel hatte Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Schon von weitem konnte man krachende Schläge hören, wieder und wieder, unaufhörlich, und das Geräusch berstenden Holzes wurde immer lauter. »Schmulik«, rief Jankel, »warte doch, ich komme!« Aber Schmulik schien ihn nicht zu hören, er lief noch schneller und war kurz darauf in der Gasse der jüdischen Fleischbänke verschwunden.
    Als Jankel keuchend um die Ecke gebogen war, blieb ihm das Herz stehen bei dem Bild, das sich ihm bot. Die Verkaufsstände zu beiden Seiten der engen Gasse waren zerschlagen, zersplitterte Bretter lagen auf dem Pflaster oder ragten anklagend aus den zertrümmerten Theken, und etwas weiter, vielleicht vierzig, fünfzig Schritte entfernt, war ein mächtiger Rücken zu sehen, Josef, der mit einer Keule auf die Häuser einschlug, auf Theken, Fenster, Türen und Wände, er schwang die Keule und ließ sie niedersausen, rücksichtslos, wahllos, wie es schien, und hatte er an einem Haus sein Werk der Zerstörung beendet, schwankte er über die Gasse und nahm sich das Haus gegenüber vor. Alles, was die Juden feinde nicht zerschlagen hatten, zerbrach jetzt unter seinen Schlägen, das Krachen zerberstenden Holzes und das Klirren brechenden Glases erfüllten die Luft. Hin und her lief Josef, hin und her, ein Dämon der Zerstörung, ein Schlag folgte dem anderen, die Keule flog in einem Bogen durch die Luft wie ein Raubtier, das seine Beute anspringt, ein Raubtier, das nicht vom Hunger getrieben wird, nur vom Wunsch nach Töten, nach Zerstörung. Die Keule schien – obwohl es Josef war, der sie schwang – ein eigenes Leben zu haben.
    Zwischen Jankel, der wie erstarrt stehen geblieben war, und dem tobenden Dämon mit der Keule ging Schmulik, langsam, mit zögernden Schritten, die Schultern leicht hochgezogen, die Arme verkrampft herunterhängend, die Hände zu Fäusten geballt. Jankel wagte nicht, ihn zu rufen, aus Angst, Josef auf ihn aufmerksam zu machen. Im Abstand von ein paar Schritten folgte er dem Freund, der ihn wegen der krachenden Schläge nicht hören konnte. Die Gasse machte eine leichte Biegung und plötzlich waren die Hunde zu sehen, mindestens zwei Dutzend waren es, Hunde, wie man sie überall in der Stadt sah, mager und gierig. Sie balgten sich um die Reste des Fleischs, um Häute und Knochen und rissen sich die Beute gegenseitig aus dem Maul. So gierig waren sie, dass sie

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