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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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wäre das nicht gewesen?«
    »Aber es hat nicht geklappt.« Es war keine Frage.
    »Das war vor langer Zeit. Ich war damals ein anderer Mann.«
    »Was ist passiert?«
    »Sie ist weggegangen. Sie war da, und dann war sie fort. Ich weiß bis heute nicht, warum.« Die Worte waren ihm einfach eingefallen; er hatte sie ausgesprochen, ohne nachzudenken.
    Levy nickte unangenehm mitfühlend. »Haben Sie sich später nicht gefragt, was Sie hätten anders machen sollen?«
    Jeden Tag. Jeden Tag meines Lebens frage ich mich.
    Er zuckte die Achseln. »Vielleicht war es zu schwierig, mich zu lieben.«
    »Oh, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.«
    Genug
, dachte er. »Brauchen Sie irgendetwas? Sonst schaue ich nach, wie die Köchin mit dem Abendessen vorankommt.«
    Levy blinzelte. »Natürlich. Danke, Joseph, dass Sie mir ihr Ohr geliehen haben.«
    Schaalman lächelte und entfernte sich.

Kapitel  16
    » D u trägst einen Hut«, sagte der Golem. »Danke.«
    Sie entfernten sich von ihrer Pension Richtung Norden. Graupel fiel vom Himmel, fein wie gefrorener Nebel. Es war der dritte Ausflug seit der Nacht im Madison Square Park. Zwei Wochen zuvor waren sie im Battery Park gewesen – nicht im Aquarium, da sie ihm untersagt hatte, noch einmal das Schloss zu schmelzen – und auf der West Street nach Norden zum Pier an der Barrow Street gegangen. Im Sommer war der Pier eine überlaufene Freizeitpromenade, doch jetzt lag er verlassen da und vom Geländer hingen Eiszapfen. Der Dschinn misstraute dem glatten Holz und blieb bei den mit Brettern vernagelten Buden zurück und sah zu, wie der Golem mit im Wind flatterndem Umhang bis ans Ende des Piers hinausmarschierte. »Dort draußen ist es ganz still«, sagte sie, als sie zurück war. Sie gingen weiter die West Street entlang, doch bald versperrten ihnen Lagerhallen und Büros der Dampfschifffahrtsgesellschaften den Blick auf das Wasser und ferne Lichter. Sie wollten schon umkehren, als er ein paar Piers entfernt ein Glühen am Himmel entdeckte und sie hinter sich herzog, um es zu erkunden. Die Mannschaft eines Frachtschiffs hatte das Deck mit elektrischen Lichtern beleuchtet, sie arbeitete die ganze Nacht über, um mit der Flut am Morgen in See zu stechen. Schauermänner liefen mit Fracht beladen herum, weiße Dampfwolken stiegen von ihren Mündern auf. Der Dschinn und der Golem sahen zu, bis der Vorarbeiter sie auf Norwegisch anschrie, sie sollten verschwinden, sie hätten keine Zeit für Gaffer. Der Golem entschuldigte sich gedankenlos in derselben Sprache, und sie traten hastig den Rückzug an, bevor der Mann seine vorgeblichen Landsleute fragen konnte, aus welcher Stadt sie stammten.
    Eine Woche später waren sie durch die nördliche Lower East Side gegangen, einer Melange aus jüdischen und böhmischen Geschäften, dazwischen immer wieder verblasste deutsche Schilder: Die Überreste von
Kleindeutschland
in einem osteuropäischen Meer. Bei diesem Treffen war Chava schlecht gelaunt, zerstreut und unglücklich gewesen. Sie erklärte nicht warum, sagte nur, dass sie mit einem Bekannten, einem Mann namens Michael in Brooklyn auf dem Friedhof gewesen war. Der Dschinn hatte den Eindruck, dass dieser Michael sich mehr von ihrer Beziehung erhoffte als sie.
    »Ich bedaure jeden, der versucht, dir den Hof zu machen«, sagte er. »Sie sind dir gegenüber schwer im Nachteil.«
    »Ich will nicht, dass man mir den Hof macht«, murmelte sie.
    »Niemand? Oder nur er nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die ganze Frage abtun. Sie war schwer zu verstehen, diese Frau. Sie hatte etwas Prüdes, was in Einklang mit ihrer Vorsicht und ihrer Ernsthaftigkeit stand. Sie war zwar so neugierig wie er, zögerte jedoch, etwas zu erkunden. Gelegentlich lächelte sie, doch sie lachte nur selten. Insgesamt war sie das Gegenteil dessen, was er sich bei einer Frau wünschte. Sie wäre eine schreckliche Dschinniya.
    Sie gingen Richtung Nordwesten durch die schlafende Stadt. »Wie fühlt sich das an?«, fragte er. »Alle diese Wünsche und Ängste zu spüren?«
    »Wie viele kleine Hände, die nach mir greifen«, sagte sie.
    Er wand sich nahezu, als er es sich vorstellte. Vermutlich gäbe er einen schrecklichen Golem ab.
    »Es fällt mir leichter, nicht mehr darauf zu reagieren«, sagte sie. »Aber es ist immer noch schwierig. Vor allem wenn ich es bin, vor der jemand Angst hat. Oder von der jemand etwas will.«
    »Wie dein Freund Michael?«, fragte er.
    Sie nickte, schwieg jedoch, ihre Miene

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