Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Seite, und die Frau vergrub das Gesicht in ihrem Schal und kreischte vor Vergnügen.
Der Golem sah ihnen lächelnd zu. Als sich der Schlitten näherte, trat der Dschinn einen Schritt zurück auf den Rasen, um den Pferden nicht im Weg zu stehen. Das Paar auf dem Schlitten bemerkte sie, und der Mann hob die Hand zu einem schwungvollen Gruß. Sie freuten sich über das Publikum, waren froh, dass jemand sie sah, wie sie gesehen werden wollten: jung und draufgängerisch, glücklich, am Leben zu sein und verliebt.
Die zwei Pferde, die offenbar gut trainiert waren, schüttelten sich nur leicht, als sie den Dschinn erreichten. Einen Augenblick lang schauten sich die beiden Paare an, als blickten sie in einen Spiegel; und dann sah der Dschinn den einsetzenden Schrecken, ja die Angst in den Augen der Frau. Die gleiche aufkeimende Unsicherheit zeichnete sich auf dem Gesicht des Mannes ab – er nahm die Zügel fester in die Hand –, und dann glitt der Schlitten vorbei, die Pferde zogen sie fort von ihrem unheimlichen Spiegelbild, dem zu gut aussehenden Mann und der merkwürdig glitzernden Frau.
Das Lächeln des Golems war erloschen.
Das neue Jahrhundert erwies sich als lukrativ für Boutros Arbeely. Seit der Ankunft des Dschinns hatten sich die Aufträge mehr als verdoppelt. Die Kunde von Arbeelys guter und rascher Arbeit hatte die Grenzen der syrischen Gemeinde überschritten, und während der letzten Wochen hatte eine Reihe ungewöhnlicher Besucher den Kupferschmied aufgesucht. Der erste war ein irischer Schankwirt, der die Griffe an seinen alten Bierflaschen ersetzen lassen wollte. Die Flaschen lösten sich leicht von den Henkeln, insbesondere weil seine Gäste sie gern als Knüppel benutzten. Dann kam ein italienischer Stallbesitzer auf der Suche nach Hufeisen. Arbeelys beschränkte Englischkenntnisse hätten die Gespräche erschwert, doch die Kunden mussten nur dem nächstbesten syrischen Jungen ein paar Pennys in die Hand drücken und ihn bitten zu dolmetschen.
Der merkwürdigste Besucher kam Ende Februar, ein syrischer Landsmann und Hausbesitzer namens Thomas Maloof. Er stammte aus einer reichen, orthodoxen Landbesitzerfamilie und war nicht auf dem Zwischendeck, sondern in einer möblierten Kabine nach Amerika gekommen – mit einem beträchtlichen Geldscheinbündel und jeder Menge Kredit. Als er bei seiner Ankunft in New York sah, wie sich Welle über Welle von Immigranten auf die Fähren ergossen, entschied er, dass jeder Mann mit einem Fünkchen gesundem Menschenverstand gut daran täte, so schnell wie möglich Immobilien in Manhattan zu kaufen. Daraufhin hatte er einen Wohnblock in der Park Street erworben. Er selbst wohnte in einer Zimmersuite in einem vornehmen Hotel im Norden der Stadt und setzte nur selten einen Fuß in das Gebäude. Mit seinen Landsleuten unterhielt er sich kaum und war Orthodoxen wie Maroniten gegenüber gleichermaßen herablassend. Die Beziehungen zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften waren bestenfalls kühl, doch der egalitäre Maloof hielt zu beiden gehörigen Abstand.
Maloof betrachtete sich als Kunstkenner und Mäzen. Demgemäß beschloss er, nachdem er sich kurz in seinem neuen Gebäude umgesehen hatte, dass nicht die schlechten Rohrleitungen oder die dunklen engen Räume sein größter Defekt waren, sondern die erbärmliche Qualität der Deckenverkleidung aus gepresstem Blech im Eingangsbereich. Er beschloss, eine neue Decke anbringen zu lassen, um seine Eigentümerschaft zu feiern. Bald war er in allen Fabriken in Brooklyn und in der Bronx gewesen und hatte ihre Muster an gepresstem Blech begutachtet. Doch zu seiner Enttäuschung hatten sie nur alltägliche Blumen, Medaillons und französische Lilien im Angebot, denen es an wahrem künstlerischen Wert mangelte. Seine Mieter waren brave, hart arbeitende Leute, erklärte er Arbeely, die ein richtiges Kunstwerk im Hauseingang verdienten.
Arbeely hörte sich seinen Vorschlag skeptisch, aber höflich an. Im Gegensatz zu Maloof wusste er, warum nur Fabriken Weißblechplatten herstellten: Ihre Produktion erforderte teure Maschinen, und der Profit war so gering, dass man sie an ein ganzes Viertel von Mietshäusern verkaufen musste, damit sich die Investition lohnte. Und als Arbeely Maloof fragte, welche Art von Kunst er denn im Sinn habe, musste er feststellen, dass der Hausbesitzer überhaupt keine Vorstellung hatte. »Sie sind doch der Kunsthandwerker, nicht ich!«, rief Maloof. »Ich bitte Sie doch nur, mir etwas zu machen,
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