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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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Gottes.‹
Das hat jemand namens Washington gesagt.«
    »Ich dachte, Washington wäre eine Stadt«, murmelte der Golem unsicher.
    »Egal. Was
bedeutet
es?«
    Sie antwortete nicht, sondern schaute weiter hinauf zu den Buchstaben, die sie nicht genau erkennen konnte. Dann fragte sie: »Glaubst du an Gott?«
    »Nein«, antwortete er, ohne zu zögern. »Gott ist eine menschliche Erfindung. Meine Art glaubt an nichts Vergleichbares. Und nichts, was ich erlebt habe, deutet darauf hin, dass ein allmächtiger Geist im Himmel Wünsche erfüllt.« Er lächelte und erwärmte sich für das Thema. »Vor langer Zeit, während der Herrschaft von Suleiman, konnten die mächtigsten Dschinn Wünsche erfüllen. Aus der Zeit gibt es auch Geschichten von Dschinn, die von Zauberern gefangen genommen wurden. Um freigelassen zu werden erfüllte der Dschinn dem Zauberer im Gegenzug drei Wünsche. Aber der Zauberer wünschte sich weitere Wünsche und zwang den Dschinn damit in immerwährende Sklaverei. Bis er endlich einen schlecht formulierten Wunsch äußerte und sein Gefangener ihm eine Falle stellen konnte. Und dann war der Dschinn wieder frei.« Sie betrachtete noch immer den Bogen, aber sie hörte ihm zu. »Also ist der Gott der Menschen vielleicht ein Dschinn wie ich, gefangen im Himmel und dazu gezwungen, Wünsche zu erfüllen. Oder er ist schon seit langem frei, nur hat es niemand den Menschen erzählt.«
    Schweigen. »Was glaubst
du
?«, fragte er. »Glaubst du an ihren Gott?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Der Rabbi hat an ihn geglaubt. Und er war der weiseste Mensch, dem ich bislang begegnet bin. Also ja, vielleicht glaube ich an ihn.«
    »Ein Mensch sagt dir, du sollst glauben, und du tust es?«
    »Das hängt von dem Menschen ab. Du glaubst ja auch an die Geschichten, die
dir
erzählt wurden. Oder kennst du einen Dschinn, der Wünsche erfüllen kann?«
    »Nein. Diese Fähigkeit ist vor langer Zeit verloren gegangen.«
    »Also sind es jetzt nur noch Geschichten. Und vielleicht haben sich die Menschen ihren Gott tatsächlich nur ausgedacht. Aber ist er deshalb weniger wirklich? Nimm diesen Torbogen. Sie haben ihn erschaffen. Jetzt existiert er.«
    »Ja, aber er erfüllt keine Wünsche«, sagte er. »Er tut überhaupt nichts.«
    »Das stimmt«, sagte sie. »Aber ich schaue ihn an und empfinde etwas dabei. Vielleicht ist das sein Zweck.«
    Er wollte sie fragen, wozu ein Gott gut sei, der nur existierte, um einen etwas
empfinden
zu lassen. Aber er sagte lieber nichts. Sie waren einem Streit wieder einmal gefährlich nahegekommen.
    Sie wandten sich vom Bogen ab und gingen in den Park. Schlittenspuren kurvten um die Inseln schneebedeckter Rasenflächen. Der ovale Springbrunnen war über den Winter abgestellt und das Becken eine flache Schüssel Eis. Schlafende Männer lagen auf den Bänken, kaum sichtbar unter vielen Schichten von Decken. Der Golem blickte zu ihnen, wandte rasch den Blick ab und schien bekümmert.
    »Sie brauchen so viel«, murmelte sie. »Und ich gehe einfach an ihnen vorbei.«
    »Ja, aber was willst du tun? Ihnen allen was zu essen geben, sie mit nach Hause nehmen? Du bist nicht für sie verantwortlich.«
    »Leicht zu sagen, wenn man sie nicht hört.«
    »Was ich sage, stimmt trotzdem. Du bist allzu großzügig, Chava. Ich glaube, du würdest dich selbst aufgeben, wenn jemand dich darum bittet.«
    Sie schlang die Arme um sich und blickte unglücklich drein. Der Wind hatte ihr die Kapuze aus dem Gesicht geweht. Schneeflocken klebten auf ihren Wangen und der Nase. Sie sah aus wie eine lebende Statue, ihr Gesicht weiß und glitzernd.
    Er streckte die Hand und wischte ihr den Schnee von den Wangen. Die Kristalle schmolzen sofort unter seiner Hand. Sie zuckte erschrocken und überrascht zusammen, dann verstand sie. Verzagt fuhr sie sich mit der Hand übers Gesicht.
    Er sagte: »Wenn du dich auf eine Bank legen würdest, wärst du am Morgen unter Schnee und Tauben begraben.« Sie lachte. Es war schön, dieses seltene Lachen zu hören. Er meinte, es sich verdient zu haben.
    Als sie sich dem Ende des Parks näherten, hörten sie in der Ferne Gebimmel. Ein Schlitten fuhr durch den Torbogen, die zwei eingespannten Pferde trabten gehorsam. Die Zügel hielt nicht ein Kutscher in der Hand, sondern ein elegant gekleideter Herr mit Zylinder. Neben ihm saß eine blonde Frau in einem modischen Mantel und lachte, als er den Schlitten neben dem Brunnen eine enge Acht fahren ließ. Der Schlitten neigte sich bedrohlich zur

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