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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Autoren: Helene Wecker
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Getue auf. In normalem Tonfall sagte er: »Zufälligerweise verstehe ich warum. Ich bin nur überrascht, dass du ebenso denkst.« Er seufzte. »Ich habe dich unterschätzt, Golem. Ich habe dich mit meinen eigenen Händen erschaffen, und doch bist du mir ein Rätsel.«
    Sie schwieg, wartete angespannt. Der Dschinn stand so reglos neben ihr, dass sie sich fragte, ob Schaalman ihn an dieser Stelle festhielt.
    »Und du«, sagte er zum Dschinn. »Schau dich bloß an. Sollte ich die Worte sagen, die deine Bindung an mich lösen, sodass du davonfliegen könntest, dann, so glaube ich, würdest du dich weigern und bei ihr bleiben. Ich erinnere mich an eine Zeit, als du dich Frauen gegenüber weniger rücksichtsvoll verhalten hast. Ich frage mich, ob diese Veränderung auf Ibn Malik zurückgeht, auf das, was er dich gezwungen hat zu tun. Oder auf meinen Golem.«
    »Hör auf zu reden«, sagte der Dschinn eiskalt. »Tu, was du tun willst.«
    »Bist du so versessen darauf, in die Flasche zurückzukehren?« Schaalman schüttelte den Kopf. »Zuerst will ich, dass ihr mich versteht. Ich bin nicht Ibn Malik. Ich will keinen Ruhm, kein Königreich. Ich möchte nur ein wenig Frieden in dem mir verbliebenen Leben.«
    Er wandte sich an den Golem. »Zu diesem Zweck schlage ich dir einen Handel vor.« Er holte ein Stück Papier aus dem Jackenärmel. »Mit dieser Formel kann man einen Golem an einen neuen Meister binden. Dein Rabbi Meyer hat sie gefunden. Ich glaube, er ist gestorben, bevor er sie anwenden konnte. Oder vielleicht hatte er auch einfach nicht die Kraft.«
    Der Rabbi?
Sie wollte widersprechen, ihn einen Lügner nennen – doch wie oft hatte sie die Albträume des Rabbis gespürt, seine Ängste um sie?
    »Meyer hat eine schlaue Klausel in die Formel eingebaut«, fuhr Schaalman fort. »Um dich an einen neuen Meister zu binden, bedarf es deiner Zustimmung. Du musst aus freiem Willen dein Einverständnis geben, damit sie wirksam werden kann. Und das ist der Handel, den ich dir vorschlage. Annas Leben und das ihres Kindes gegen deine Freiheit. Dann wärst du wahrhaft mein Golem«, sagte Schaalman. »Die an mich gebundene Sklavin und mein Geschöpf.«
    Sie schaute zu Anna, die leblos wie eine Puppe dastand und nichts von der Gefahr wusste, in der sie schwebte. »Und was müsste ich tun als an Sie gebundene Sklavin?«
    »Die Welt bereisen«, sagte er. »Meine früheren Inkarnationen suchen. Ihnen beibringen, wer sie sind und dass sie den Tod nicht fürchten müssen. Ihnen Frieden bringen, wenn du das schaffst. Sie werden sich gegen dich wehren. Ich hätte es auch getan.«
    Sie blickte zum Dschinn und sah sein wachsendes Entsetzen, als er begriff, was sie tun würde, tun
müsste.
»Gut«, sagte sie. »Ich bin einverstanden.«
    »Chava!«, rief er bestürzt.
    Der Golem wandte sich ihm zu. »Was soll ich deiner Meinung nach tun, Ahmad? Sag es mir!«
    Aber er wusste keine Antwort.
    Sie schaute wieder zu Schaalman. »Lassen Sie sie zuerst gehen.«
    Schaalman schien zu überlegen: Und dann sank Anna zu Boden. Der Golem lief zu ihr und half ihr beim Aufstehen. Anna schaute benebelt zuerst den Golem an, dann Schaalman. »Sie«, sagte sie. »Sie haben mir auf dem Flur einen Schrecken eingejagt.«
    »Verschwinde, Mädchen«, sagte Schaalman.
    Anna runzelte verständnislos die Stirn. »Geh, Anna«, drängte der Golem. Die junge Frau sah sie verwirrt an und eilte dann zur Tür. Sie hörten, wie sie ins Schloss krachte.
    Der Golem schloss die Augen. »Jetzt«, sagte sie.
    »Wie du willst«, sagte Schaalman – und sprach ohne Umschweife die Zauberformel des Rabbis.
     
    Verborgen im dunklen Flur, hielt Saleh den Atem an, als das Mädchen an ihm vorbeilief und durch die Tür verschwand.
    Es war mühsam gewesen, die Eingangstür geräuschlos zu öffnen. Und jetzt, im Inneren, hatte er kaum eine Vorstellung von dem, was er sah. Er hatte einen schrecklichen Kampf erwartet – aber stattdessen standen die drei da und wechselten ein paar Worte in einer Sprache, die Jiddisch sein musste. Bis die schwangere Frau zu Boden sank, hätte es eine Geschäftsverhandlung sein können.
    Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, schlich er zum Ende des Flurs. Der riesige Saal war bis in die hintersten Winkel von Licht erfüllt; sobald er den Flur verließe, würde er sofort entdeckt werden. Was konnte er nur tun, außer hineinrennen und sich umbringen lassen? Sie würden es ihm nicht danken, wenn er sein Leben wegwarf. Was auch immer passieren würde,
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