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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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Ahmad viel mehr wert ist.« Sie nahm sie und reichte sie dem Dschinn, der sie anfasste, als wäre es ein Pulverfass. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Ahmad.«
    »Danke«, sagte der Dschinn. Dann schaute er sich um: »Ist Matthew …?«
    »Er ist in der Schule«, sagte Maryam.
    Ahmad nickte, seine Enttäuschung unübersehbar. Maryam zögerte; dann sagte sie: »Ich werde ihm von Ihnen Lebwohl sagen.«
     
    Sie gingen auf die Straße hinunter, der Dschinn hielt die Flasche fest in der Hand. Maryam verabschiedete sich und kehrte zu ihren Gästen zurück. Durch das Fenster sahen sie, wie sie im Vorbeigehen die Hand ihres Mannes drückte. Die anderen vier standen unbehaglich auf der hellen Straße, das Gefühl der Dringlichkeit kämpfte gegen ein sorgenvolles Widerstreben. Der Dschinn hatte erklärt, dass die Zeit knapp war; ihre einzige Chance war jetzt, so schnell wie möglich zu handeln und über den Ozean zu fliehen, bevor Schaalman ihnen folgen konnte. Das Schiff nach Marseille würde in ein paar Stunden ablegen – Sophia kümmerte sich um eine einzelne Schiffspassage für das Zwischendeck –, und zuvor musste der Golem die Zaubersprüche von Anna zurückholen, damit auch sie in der Wüste vergraben werden konnten.
    »Und du, Saleh?«, fragte der Dschinn. »Was hast du jetzt vor?«
    Die Frage lauerte in Salehs Kopf, seitdem er sehenden Auges auf dem blanken Holzboden in der Wohnung des Dschinns erwacht war. Sollte er als Eiscreme-Saleh weitermachen, sein Leben in Pennys und Drehungen der Eismaschinenkurbel bemessen? Oder sollte er wieder Doktor Mahmoud werden? Beide Namen passten nicht mehr zu ihm; er vermutete, dass er jetzt etwas anderes war, etwas Neues, aber er hatte keinen blassen Schimmer was. Er hatte so lange in Erwartung seines Todes gelebt, dass ihm schien, als würde er am Rand einer Klippe stehen und in einen schwindelerregenden blauen Himmel schauen, wenn er über seine Zukunft nachdachte. »Das muss ich mir noch überlegen«, sagte er. »Im Augenblick bin ich zufrieden, wenn ich meine Eismaschine finde.« Und auch er verabschiedete sich, sein Blick verweilte noch kurz auf dem Gesicht des Dschinns, bevor er sich abwandte.
    »Also«, sagte Arbeely und wurde verlegen. »Ich werde dich vermissen, Ahmad.«
    Der Dschinn zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich? Gestern hat sich das noch ganz anders angehört.«
    Arbeely winkte ab. »Vergiss es. Und außerdem«, sagte er und versuchte es mit Humor, »mit wem soll ich jetzt streiten? Mit Matthew?«
    Ich werde dich auch vermissen
, wollte der Dschinn sagen; aber es stimmte nicht. Die Flasche würde ihm nicht erlauben, irgendwen zu vermissen. Trauer und eine Andeutung von Panik erfassten ihn. Er ergriff Arbeelys Hand, ließ sie wieder los und wandte sich halb ab. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er zu Chava, »oder ich verliere den Mut.«
    »Chava«, sagte Arbeely. »Es freut mich, Sie kennengelernt zu haben. Bitte, passen Sie gut auf ihn auf.« Sie nickte – und dann ging auch Arbeely. Sie standen allein auf dem geschäftigen Gehweg.
    »Dann ist es so weit?«, murmelte Chava. »Es muss jetzt sein?«
    Der Dschinn nickte; doch dann erstarrte er. Etwas Seltsames geschah. Er sah nur noch verschwommen, und in seinen Ohren begann es zu summen. Plötzlich war der Gehweg verschwunden, und er wurde fortgezerrt –
    Anna stand vor ihm und hielt einen Stapel versengter Papiere in der Hand. Ihr Gesicht war ausdruckslos und schlaff. Seine eigenen Hände, geädert und gefleckt, fassten sie an den Schultern. Langsam drehte er sie herum, trat hinter sie und betrachtete das Bild, das er in der verspiegelten Säule sah. Sie sahen aus, als posierten sie für ein Familienportrait. Der Tanzsaal in ihrem Rücken war lichtdurchflutet. Er hob die Hände höher und legte sie um den Hals des Mädchens.
    »Bring sie zu mir«, befahl er dem Spiegelbild. »Und auch die Flasche. Oder ich mache dich wieder zum Mörder.«
    Er spürte die kühle Haut des Golems unter seinen Händen; sie hatten sich wie von selbst um ihre Handgelenke gelegt, als wollten sie sie zu Schaalman ziehen.
Die Bindung
, dachte der Dschinn. Sie war nie gelöst worden – und jetzt konnte Schaalman ihn kontrollieren wie zuvor Ibn Malik.
    Entsetzt fragte sie: »Ahmad? Was ist, was ist los?«
    Wie dumm Schaalman doch war, dachte der Dschinn voll Bitterkeit; wie wenig er das von ihm geschaffene Wesen kannte. Warum machte er sich die Mühe, ihm zu drohen, wenn Chava Anna doch nie im Stich lassen würde, nicht einmal

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