Golgrimms wundersame Welt (German Edition)
ein Drache aussieht. Doch dieser hatte darüber hinaus noch einen langen weißen Kinnbart, eine Lesebrille auf der Nase und eine rote, zylindrische Kopfbedeckung. Seine uralten Augen flogen über das Schachbrett, dann nahm er einen weißen Bauern aus der Deckung von Sinclairs König heraus und ließ ihn elegant im Schatten verschwinden, just in dem Moment, in dem der alte Lord seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel schenkte.
„Dieses Mädchen könnte Dinge bewegen, die wir beide nicht bewegen können. Vergiss nicht, sie ist die letzte der Sinclairs. Nur sie kann die Finsternis bannen und Menschen und Welten retten. Menschen und Welten, die wir beide, du und ich, mein alter Freund, nicht mehr retten könnten.
Zudem muss sie die Welt kennen lernen, besser früher als später.
Wir zwei sind einfach zu alt geworden für diese Art von Abenteuer und wir werden nicht ewig leben, meinst du nicht auch? Es wird Zeit das Erbe weiterzureichen.“ flüsterte Sinclair leise und runzelte die Stirn.
„Alt? Was meinst du mit alt? Drachen können bis zu tausend Jahre alt werden!“
Sinclair schaute auf. „Und wie alt bist du, mein Freund?“ Der Drache schaute verlegen, zog eine seiner schuppigen Brauen hoch und antwortete: „Neunhundertdreiundachtzig Jahre! Du hast ja recht, Vincent, wie immer hast du recht.“
Er zog seine schwarze Dame, grinste selbstzufrieden und brummte: „Schachmatt!“
Der Lord runzelte noch weiter die Stirn und lächelte wissend. „Hast du etwa geschummelt, Fez?“
Doch der Drache mit dem Namen Fez, welcher zur seltenen Gattung der Schach-Drach gehörte, grinste nur zufrieden, lehnte sich zurück in den Schatten und verschränkte die Arme hinter dem breiten Schädel.
Sarah und Mister Barcley stiegen die Treppen des Nordturmes hinauf. Dort war es zugig und düster und noch viel unheimlicher als im gesamten Rest des Schlosses.
Wie eine gewaltige Wendeltreppe führten die breiten Steinstufen höher und höher in den verbotenen Turm hinauf. Unter Sarahs Schritten entstanden kleine Staubwolken, ihre kleinen Kinderfüße hinterließen tiefe Abdrücke in den hohen Staubschichten, welche über Jahrhunderte unangetastet schienen.
Doch dann endete der Weg abrupt. Ihnen wurde der Weg durch eine schwere Tür versperrt, eine Tür aus massiver englischer Eiche mit groben verrosteten Metallbeschlägen.
Sarah suchte eine Klinke, einen Knauf, ein Schloss oder irgendetwas, um diese Tür öffnen zu können, doch das einzige was diese Tür besaß, das war ein großer Türklopfer genau in der Mitte.
Dieser Türklopfer war wie ein Gesicht geformt, doch es war ein hässliches Gesicht. Es sah aus wie das Gesicht eines Kobolds oder eines bösen Geistes und es schaute sehr verdrießlich drein. Der schwere Ring zum anklopfen zog sich durch dessen lange krumme Nase. Sarah streckte ihre kleine Hand aus um den Türklopfer zu berühren, als dieser mit bösem Blick sein Maul aufriss und schrie:
„FASS MICH VERFLIXT NOCHMAL NICHT AN!“
Das kleine Mädchen schrie auf vor Schreck. Ihr kleines Herz pochte für einen Augenblick unaufhörlich höher und schien fast zu zerspringen, doch ebenso schnell beruhigte es sich auch wieder. Dann fasste Sarah sich wieder und lauschte, ob Vincent sie gehört hatte. Nichts geschah.
Beherzt und den ersten Schrecken überwunden ging sie einen Schritt näher an den dämonischen Türklopfer heran.
„Entschuldige bitte, ich wusste nicht, dass ich das nicht darf!“ sagte das Mädchen und setzte eine mitleiderregende Unschuldsmiene auf, welche junge Eltern nur zu gut von ihren Kindern kennen, nachdem diese das Wohnzimmer in Brand gesteckt haben. „Aber ich möchte gern hinein und schließlich bist du ein Türklopfer, oder etwa nicht?“
„Ich bin kein Türklopfer!“ kam die patzige und schmollende Antwort von der Fratze an der Tür.
„Du siehst aber aus wie ein Türklopfer!“
„ICH BIN ABER KEIN VERFLIXTER TÜRKLOPFER!“
„Was bist du denn?“
„Ich bin der Türwächter!“ flüsterte das Gesicht unheilvoll und ließ geheimnisumwittert und wichtigtuerisch die Augen kreisen, so als wolle es sichergehen, von niemandem beobachtet zu werden. Das kleine Mädchen zog die Brauen hoch.
„Oh, das ist ja interessant. Wenn du ein Wächter bist, was bewachst du denn?“
„Das ist geheim!“ antwortete der Türwächter.
„Hm. Na, so wichtig wird es wohl nicht sein, wenn ausgerechnet du hier als Wächter eingesetzt wurdest!“ meinte Sarah daraufhin schulterzuckend und machte
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