Goliath: Roman (German Edition)
Vorstellung, in dreihundertfünfzig Metern Höhe aus einer C 141 in die völlige Finsternis zu springen, weitaus schlimmer war als die Wirklichkeit. Trotzdem war es ihm regelrecht peinlich, wie erleichtert er nach dem fünften und letzten Sprung war.
Als Gunnar in seinem Abschluss-Studienjahr am sommerlichen Trainingscamp des Footballteams teilnahm, war er zu einem anderen Menschen geworden. Verschwunden waren die letzten Spuren des schüchternen Bauernjungen; er hatte sich zu einem entschlossenen Athleten mit der Mentalität eines Kriegers gemausert. Das fiel auch den Trainern auf, die das hundertzehn Kilo schwere Muskelpaket endgültig in die erste Mannschaft steckten und ihm ein volles Stipendium besorgten. Obwohl sein College in diesem Jahr nicht ins Endspiel kam, machte Gunnar allgemein Eindruck und wurde unter Talentsuchern als aussichtsreicher Kandidat für eine Profilaufbahn gehandelt.
Vorläufig hatte Gunnar aber noch Verpflichtungen gegenüber der Armee. Die NFL musste warten.
Vier Jahre nach dem Tod seiner Mutter saß Gunnar Wolfe in Uniform bei seiner Abschlussfeier, körperlich und geistig bereit, die sechzehnwöchige Grundausbildung für Armeeoffiziere in Fort Benning, Georgia, abzuleisten. Sein Trainer Joe Paterno vertrat bei der Zeremonie seinen Vater Harlan, der sich stur geweigert hatte, zu erscheinen.
Die Ausbildung in Fort Benning hat das Ziel, die besten Infanterieoffiziere der Welt hervorzubringen. Im Grunde geht es dabei um Kampfeinsätze, denn jeder Aspekt des Trainings ist darauf angelegt, die jungen Offiziere auf den Krieg vorzubereiten. Dabei ist keinerlei Raum für irgendetwas anderes als die Verpflichtung, körperlich und geistig an Grenzen zu stoßen.
»Wolfe, wenn es um Leben oder Tod geht, können Sie nicht lange überlegen! Ja oder nein, verdammt noch mal! Verstanden?«
»Verstanden, Sergeant Gardner!«
Sechzehn Wochen. Hundertzwölf lange Tage, in denen man permanent müde, nass und hungrig ist. Für Gunnar war es nur ein Vorspiel für das, was vor ihm lag.
Die Ranger-Ausbildung.
Es ist ein spezieller Menschenschlag, der sich für die Spezialeinheiten der amerikanischen Armee bewirbt, und die Ranger gelten als härtester Truppenteil überhaupt. Bei leichten Infanterieoperationen an Land, auf See und in der Luft eingesetzt, reicht ihre Tradition zurück bis ins 18. Jahrhundert, als sich die Rangers von Captain Benjamin Church im Krieg gegen die Franzosen und Indianer auszeichneten. Einige Jahre später kämpften fünfhundert Rangers, bekannt als »Morgan’s Riflemen«, unter George Washington im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Ihre Treffsicherheit fügte den britischen Truppen große Verluste zu und machte sie zur am meisten gefürchteten Truppe der Amerikaner. Im Zweiten Weltkrieg schließlich wurde das Motto »Rangers voraus!« geprägt, als ein amerikanischer General sich kurz nach der Landung der Alliierten in der Normandie erkundigte, wer die härtesten Kerle seien. Als man erwiderte: »Die Rangers natürlich«, gab er die inzwischen berühmte Antwort: »Dann geht voraus, Rangers!«
Für Gunnar wartete die Ranger-Ausbildung mit den härtesten Entbehrungen auf, die er je erduldet hatte. Es gab nicht annähernd genügend Wasser, Essen und Schlaf. Innerhalb von einundsechzig Tagen durchlitt und überlebte er eisige Temperaturen, völlige geistige Erschöpfung und körperliche Strapazen, die oft die Grenze des Erlaubten überschritten. Sein bereits durchtrainierter Körper verlor zwanzig Pfund an Muskel- und Fettgewebe. Dabei gelang es ihm, eine positive Einstellung aufrechtzuerhalten, obwohl seine Kameraden durch Grippe, Unterkühlung, Knöchelbrüche und verrenkte Hälse dezimiert wurden. Weitere Gründe waren simple Erschöpfung und Magen-Darm-Probleme, die sinnigerweise durch die heimliche Gabe geringer Mengen von Cholera-Bakterien gefördert wurden.
Nachdem Gunnar die Hölle der Ausbildung erfolgreich überstanden hatte, bekam der frischgebackene Ranger seinen ersten Posten als Zugführer beim 504. Fallschirmjägerregiment der 82. Airborne Division in Fort Bragg, North Carolina. In den folgenden zwei Jahren führte er seine Leute zu einem halben Dutzend erfolgreicher Trainingseinsätze auf der ganzen Welt.
Bei einer Routineübung im freien Fall fiel er dem Mann auf, der bald zu einer Art Ersatzvater für ihn wurde.
Beim Militär werden zwei Arten von Fallschirmen verwendet, die sich beide von den im Sport eingesetzten Modellen unterscheiden. Normalerweise
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