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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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und da Konstancja hier in Venedig niemanden kannte, hat sie sich mir anvertraut.
    So fing es an. Ich glaube, dass Konstancja diese Beziehung gebraucht hat.»
    «Ich dachte, sie hatte die Absicht, dieses Verhältnis zu beenden?»
    Troubetzkoy nickte. «Das ist richtig. Aber Potocki hat Ihnen etwas Wichtiges verschwiegen. Signora Potocki hatte auch die Absicht, sich endgültig von ihrem Mann zu trennen. Sie wollte Venedig verlassen. Potocki hat weder ein eigenes Einkommen noch die Aussicht auf eine lukrative Erbschaft. Eine Scheidung hätte ihn ruiniert. Und Konstancja war fest entschlossen, sich scheiden zu lassen.»
    «Was wollen Hoheit damit sagen?»
    «Dass Potocki ein äußerst handfestes Motiv hatte, seine Frau zu töten.»
    Tron schüttelte lächelnd den Kopf. «Ich bin ihm auf der Treppe begegnet. Da war Signora Potocki noch am Leben. Sie hat musiziert. Potocki kann es also unmöglich gewesen sein.»
    «Und wo hat sich Signora Kinsky aufgehalten, als der Mord geschah?»
    «Im Salon der Potockis. Sie ist unmittelbar bevor ich das Vestibül betreten habe, in ihr Zimmer im Dachgeschoss gegangen. Sie meint, es seien ihre eigenen Schritte gewesen, die ich auf der Treppe gehört habe.»

    Troubetzkoy lächelte zynisch. «In diesem Fall hat sie ausnahmweise Recht.»
    «Moment mal. Hoheit meinen …»
    Troubetzkoy nickte. «Ich will Ihnen etwas über die Kinsky erzählen, das Sie offenbar nicht wissen.»
    «Reden Sie.»
    «Ich nehme an, Sie kennen den Grund, aus dem  Signora Kinsky bei den Potockis ist?»
    «Sie war nach dem Tod ihres Gatten mittellos.»
    «Das ist richtig. Aber vermutlich wird man Ihnen die Umstände, unter denen Signora Potocki ihren Gatten verlor, nicht erzählt haben.»
    Tron runzelte die Stirn. «Nein.»
    Troubetzkoy überlegte kurz. Dann sagte er: «Es gab das Gerücht, dass sie ihren Mann vergiftet hat.
    Daraufhin kam es zu einem Prozess, der mit einem Freispruch endete. Man konnte ihr nichts nachweisen. Aber der Tod ihres Mannes hatte einen bitteren Beigeschmack. Als Konstancja das erfuhr, hatte sie nur noch Angst.»
    «Wovor?»
    «Vor dem, was gestern Abend passiert ist.»
    «Das ist eine ungeheure Anschuldigung, Hoheit.»
    Troubetzkoy nahm sich eine frische Zigarette aus dem silbernen Kästchen. «Ich verlange nicht, dass Sie mir glauben, Commissario. Ich rate Ihnen nur dringend dazu, sich die entsprechenden Akten aus Triest kommen zu lassen.»

28
    Signora Leinsdorf, Frau Generaldirektor Leinsdorf, stand vor dem Schaufenster von Sivrys elegantem Ladengeschäft an der Piazza und musterte noch einmal den Canaletto, den sie eben gekauft hatte. Der Palazzo Ducale sah verdächtig rosa aus, die Wolken erinnerten an Sahnebaisers, und der Himmel über der Stadt war ziemlich hellblau. Offenbar teilte der rundliche Franzose, der dieses farbenfrohe Gemälde in seinem Schaufenster ausgestellt hatte, ihre Einschätzung des venezianischen Publikums. Die reichen Fremden kauften einfach alles und hatten es gerne bunt. Vermutlich, dachte Signora Leinsdorf, wurden sie nicht einmal dann misstrauisch, wenn ihnen beim Betreten des Ladens der Geruch von frischer Farbe entgegenschlug.
    Signora Leinsdorf hatte gleich am ersten Tag ihres Aufenthaltes festgestellt, dass ihr Venedig gefiel. Sie mochte die nonchalante Offenheit, mit der hier alles auf Betrug angelegt war: die überteuerten Zimmer, das überteuerte Essen, die unverschämten Tarife der Gondolieri. Selbstverständlich waren auch die Preise in den Restaurants und Cafés der reinste Wucher.
    Und genau das, dachte sie, hatte sie an dem Canaletto fasziniert. Dieses Missverhältnis zwischen seiner offenkundigen Falschheit und seinem unverschämten Preis hatte etwas ungemein Authentisches, es entsprang dem genius loci. In gewisser Hinsicht, fand Signora Leinsdorf (die eine Neigung zu komplizierten Gedankengängen hatte), durfte man das Gemälde als Original bezeichnen.
    Die Verkaufsverhandlungen waren dann sehr  harmonisch verlaufen. Nachdem sie auf schwerwiegende Mängel des Gemäldes hingewiesen hatte, war der Eigentümer des Geschäftes, ein Monsieur de Sivry, ihren Preisvorstellungen weitgehend gefolgt. Sie hätte ihm gerne erklärt, warum sie ein Gemälde gekauft hatte, das eindeutig eine Fälschung war, aber sie bezweifelte, dass er sie verstanden hätte. Und verstand sie es denn selber? Diesen seltsamen Trost, den eine betrogene Frau hier in Venedig, in dieser betrü gerischen Fremdenfalle empfand? Woraus allerdings, dachte sie, während sie ihren

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