Gondeln aus Glas
Sonnenschirm mit einem kräftigen Ruck aufspannte, nicht folgte, dass sie den Eskapaden von Generaldirektor Leinsdorf tatenlos zusehen würde.
Als sie sich umdrehte, spiegelte sich ihr Gesicht in der Schaufensterscheibe – ein Anblick, der sie daran erinnerte, dass Generaldirektor Leinsdorf sie nur ihres Geldes wegen geheiratet haben konnte. Nicht dass ihr Gesicht hässlich gewesen wäre – jedenfalls nicht für einen Pferdeliebhaber. Signora Leinsdorf hatte große, kräftige Zähne, einen vollen, sinnlichen Mund und eine wohlgeformte, vielleicht etwas nüsternähnliche Nase. Keines dieser Merkmale war als solches unschön, auch nicht ihre auffälligen roten Haare, nur in ihrem Zusammenwirken ergab sich ein ausgesprochen pferdeähnlicher Effekt. Manchmal, wenn sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete, sah sie aus wie jemand, der gleich anfangen würde zu wiehern. Das war ein wenig beunruhigend. Aber noch beunruhigender war, dass sie hin und wieder das Bedürfnis hatte zu wiehern.
Signora Leinsdorf löste sich von ihrem Spiegelbild und trat aus dem Schatten der Arkaden auf die sonnenbeschienene Piazza. Vor dem Aufgang zum Campanile hatte sich eine Schlange gebildet, und sie spielte kurz mit dem Gedanken, ebenfalls (vermutlich für ein horrendes Eintrittsgeld) auf den Campanile zu klettern, entschied sich dann aber, in ihr Hotel zurückzukehren. Sie passierte Cafétische, an denen selbstverständlich nur Kännchen serviert wurden, und umrundete Einheimische, die Taubenfutter zu Mondpreisen anboten. Dann steuerte sie mit energischen Schritten auf ihre überteuerte Suite im Danieli zu.
«Eine bemerkenswerte Frau», sagte Alphonse de Sivry, der mit gelockerter Halsbinde auf einem seiner Louis-Seize-Fauteuils saß und einen etwas abgekämpften Eindruck machte.
Tron hob die Augenbrauen. «Die Signora, die eben vor dem Schaufenster gestanden hat?»
Sivry nickte. «Sie hat den Canaletto gekauft. Obwohl ihr auffiel, dass gewisse Partien bei der Restauration rekonstruiert wurden. Und ich hatte fast den Eindruck, dass sie das Bild wegen dieser Rekonstruktionen gekauft hat. Allerdings nicht für den Preis, den ich vorgesehen hatte.» Er seufzte. «Sondern für erheblich weniger. Ich wünschte, ich hätte ihr einen Tizian anbieten können.»
«Wegen ihrer tizianroten Haare?»
Sivry lächelte. «Bemerkenswert, nicht? Bei Tizian symbolisiert diese Haarfarbe Leidenschaft. Das war der Grund, aus dem die Kurtisanen ihre Haare in alten Tagen rot färbten. Sehr leidenschaftlich sah die Frau allerdings nicht aus. Ganz im Gegensatz zu der rothaarigen Dame, mit der ich Troubetzkoy in der vorletzten Woche abends im Florian gesehen habe.»
«Eine rothaarige Dame?» Tron runzelte die Stirn.
«An welchem Tag war das?»
Sivry dachte ein wenig nach. «Das war der Tag, an dem ich einen Piazetta an eine Amerikanerin verkauft hatte. Am Donnerstag letzter Woche.»
« Donnerstag letzter Woche? Und wann genau?»
«Wir sind um zehn Uhr abends im Laden verab redet gewesen und waren eine halbe Stunde später im Florian », sagte Sivry. «Also zwischen halb elf und elf.»
«Sind Sie sicher?»
Sivry sah Tron irritiert an. «Absolut. Troubetzkoy saß zwei Tische weiter.»
Troubetzkoy saß zwei Tische weiter – zusammen mit einer Frau, dachte Tron – der noch immer nicht glauben konnte, was er eben gehört hatte –, die nur Konstancja Potocki gewesen sein konnte. Und die als Alibi ins Spiel zu bringen sich der Großfürst begreiflicherweise gescheut hatte. Er atmete tief durch und räusperte sich. «Was ist mit dem Tizian? Ist das Bild nun eine Kopie oder das Original?»
«Was erwarten Sie?» Sivrys Gesichtsausdruck schwankte zwischen Besorgnis und Amüsement.
Tron sagte: «Haben Sie von dem tödlichen Unfall in San Pantalon gehört?»
«Ein Priester, der den großen Fumiani an der Decke restaurieren sollte, ist vom Gerüst gestürzt.»
«Dieser Priester», sagte Tron, «wurde Anfang des Jahres von der Königin beauftragt, den Tizian zu kopieren. Er hat nicht nur eine, sondern zwei Kopien angefertigt, das Original behalten und an Kostolany verkauft. Der es dann an Troubetzkoy weiterverkauft hat. Und auf dessen Brigg haben wir es gefunden.
Wohlgemerkt, das Original. Denn Pater Terenzio hätte nie versucht, Kostolany eine Fälschung zu verkaufen.»
Sivry lächelte. «Weil Kostolany die Fälschung erkannt hätte?»
Tron nickte. «Als Kostolany dem Pater dann mitteilte, dass eine gewisse Signora Caserta ihm eine Magdalena Tizians
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