Gone 4: Rache
mussten den Zug erreichen, bevor die Käfer endgültig aus Dekka hervorbrachen.
Er brauchte sie. Bis zum bitteren, entsetzlichen Ende, und sie brachte ihre letzten Minuten damit zu, ihm hinterherzulaufen und zu helfen, während er nichts tun konnte, außer zu hoffen, dass sie am Leben blieb, noch mehr litt, ihre Angst überwand – und das alles für einen blöden, sinnlosen und zum Scheitern verurteilten Plan.
»Da«, sagte Toto. »Ich sehe den Zug.«
Das Licht war schwach und grau. Ja, da war er, der Zug. Sam sah ihn jetzt auch.
Er biss die Zähne zusammen und rannte los, trat mit beiden Füßen auf und hatte bei jedem Schritt das Gefühl, als bohrte jemand mit einer Nadel in seine Ferse und stieß sie mit Gewalt nach oben.
»Spidey, man sieht nicht einmal, welcher Container es war.«
Sam hielt die Handflächen aneinander und ließ in dem Hohlraum dazwischen ein grünliches Licht wachsen, bis er die Gesichter seiner beiden Gefährten erkennen konnte. Zu seinem Horror erblickte er in dem Licht aber auch einen Käfer, der sich in Bauchhöhe durch Dekkas T-Shirt gefressen hatte. Sie zitterte wie Espenlaub.
»Dekka«, sagte er. »Du musst nicht … ich kann …«
Sie packte ihn am Arm und drückte so fest zu, dass es wehtat. »Ich bleibe bei dir, Sam. So wie es aussieht, ist mir der einfache Abgang eben nicht vergönnt.«
»Hier ist der Container mit den Waffen!«, rief Toto.
»Sam«, sagte Dekka. »Wenn ich sterbe …«
»Dann stürzen wir beide ab«, fiel ihr Sam ins Wort. »Du und ich zusammen. Wenn es so ist, wird es mir eine Ehre sein, mit dir zu gehen.«
Sam schlug die Türen des Containers zu und sie kletterten alle drei hinauf. Die Decke des Containers war mit vertikalen, ungefähr fünfzehn Zentimeter tiefen Mulden versehen, um die Materialstärke zu erhöhen. Sie legten sich flach auf den Rücken, das Gesicht nach oben gerichtet.
»Also los«, sagte Dekka. Sie spreizte die Finger und kehrte ihre Handflächen nach außen.
Der Container stieg in die Luft.
Sam starrte zum Himmel, der kein echter Himmel war. Die Sterne verblassten bereits, der Mond war untergegangen.
Wie schnell stiegen sie? Die Barriere war keine vierzig Meter vom Zug entfernt. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, er hätte in Geometrie besser aufgepasst. Garantiert gab es irgendeine Formel, mit der sich berechnen ließe, wie lange es dauern würde, bis sie mit der Wand zusammenstießen.
Wenn Astrid hier wäre, könnte sie …
Kriiiieee!
Die Türseite des Containers schrammte an der Barriere entlang und das ganze Ding kippte zur Seite.
»Festhalten!«, schrie Sam.
Er klammerte sich noch stärker an die Rillen, stellte dann aber überrascht fest, dass er schwerelos war. Er hielt sich fest, um nicht nach oben zu steigen.
Klonk. Klonk. Skriiiieee!
Der Container stieß noch ein paarmal an, geriet gefährlich ins Wanken, aber er stieg. Stieg immer weiter!
Plötzlich kippte er zur Wand hin und drückte Sam mit den Knöcheln, dem Oberkörper und dem Gesicht dagegen. Es fühlte sich an, als griffe er in eine elektrische Leitung. Ein Schmerz, der jeden anderen Gedanken ausblendete. Er kam nicht zum ersten Mal mit der Wand in Berührung, aber es war das erste Mal, dass er sie mit dem Gesicht berührte.
»Dekka!«, rief er verzweifelt.
»Ich tu mein Bestes!«
Der Container richtete sich wieder etwas gerader. Sam konnte jetzt wenigstens die Rillen loslassen, seine Hände neben sich legen und verhindern, dass sie zerquetscht wurden, aber das Kreischen des an der Wand entlangschrammenden Stahls ging unvermindert weiter.
Skriiiieee!
Sie stiegen immer noch. Schneller als vorhin.
Wie hoch? Was, wenn Dekka die Kraft verließ? Dann würden sie zum Stillstand kommen oder gleich abstürzen. Wenn sie durchhielt, würden sie weiter steigen und dabei der Krümmung der Kuppel folgen, und sobald sie die Spitze des Bogens erreicht hätten, würden sie mit den Gesichtern wieder gegen die Barriere gepresst werden, was auch keine angenehme Aussicht war.
Er wälzte sich auf den Bauch und kroch an den Rand. Unter ihnen war nicht viel zu sehen. Eine graue Landschaft. Keine Lichter. Unmöglich zu sagen, wo sie sich befanden. Er wünschte sich, er hätte Alberts Karte dabei, dann könnte er sich vielleicht an den Schattenmustern und den vom Mond schwach beleuchteten Anhöhen orientieren.
Als er nach oben blickte, war die Barriere nicht mehr die glatte, perlmuttfarbene durchscheinende Wand, die er gewohnt war, sondern eher eine
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