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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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wollte.
    »Passt gut auf euch auf, ihr Hübschen«, sagte er und drückte uns fest an sich. Er roch nach Tabak.
    »Möge Ihnen die Kraft und Gesundheit eines Drachen beschieden sein«, sagte Mama leise auf Chinesisch. Sie schaute in ihre Einkaufstüte und zog ein kurzes Holzschwert heraus, das sie im Kung-Fu-Laden in Chinatown gekauft hatte und ihm nun überreichte.
    Er strahlte vor Freude über sein ganzes, breites Gesicht, als er mit den Fingern über die Schnitzarbeiten am Griff fuhr.
    »Sie hat gesagt ›Gute Gesundheit‹«, erklärte ich. Ich wusste nicht, wie ich den Rest übersetzen sollte. »Sie sollen Schwert unter Kopfkissen legen.«
    »Was? Das wäre doch schade um die schöne Waffe!«
    »Es nimmt Sorgen weg und schlechten Traum.«
    »Also gut. Wenn du es sagst.« Er grinste uns hinterher, bevor er Richtung U-Bahn davonging und dabei sein Schwert schwang wie ein Ninjakämpfer.
     
    Der Anblick von Mr Als leerem Laden machte mich traurig. Oben in unserer Wohnung zog ich die Mülltüten am Küchenfenster hoch und betrachtete das Gebäude, in dem er gewohnt hatte.
    Ich wollte auch einen Blick auf die schlafende schwarze Frau und das Baby in der Wohnung über seinem Laden werfen. Die Mutter war nicht da, aber ich entdeckte das Baby,
das größer geworden war und allein in einem alten Laufställchen stand. Es klammerte sich an die Seitenwand und weinte mit weit geöffnetem Mund, aber niemand kam.
    Ich hatte mich schon immer mehr für Spielzeugautos interessiert als für Puppen, und richtige Babys interessierten mich eigentlich auch nicht, aber in diesem Moment wünschte ich mir, den Kleinen hochnehmen und trösten zu können.
     
    Den ganzen März spürte ich die Blicke des fiesen Lukes auf mir, aber ich tat so, als würde ich nichts merken. Er hatte angefangen, die Mädchen an den Haaren zu packen und sie zu küssen, wenn Mr Bogart nicht hinsah. Anfang April kam ich eines Tages in der Mittagspause an seinem Tisch vorbei. Um seine Freunde zu beeindrucken, stellte er mir ein Bein, aber ich stieg einfach mit meinem Tablett darüber und ging weiter. Die Kunststoffbeine seines Stuhls quietschten, als er sich vom Tisch wegschob und aufstand.
    »He, Chinesin!«
    Ich starrte geradeaus und hatte gerade an meinem üblichen Platz gegenüber von Annette das Tablett abgesetzt, als ich seine Hand auf meiner Schulter spürte. Reflexartig senkte ich die Schulter und drehte mich gleichzeitig zur Seite, so dass seine Hand abrutschte.
    »Wow, das ist Kung-Fu!«, rief einer von Lukes Freunden.
    »Kannst du Karate?«, fragte Luke mit echtem Interesse.
    »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    »Kann sie wohl«, sagte Lukes dünner Freund.
    »Ich will mal deine Tricks sehen. Lass uns nach der Schule gegeneinander kämpfen«, schlug Luke so beiläufig vor, als würde er mich zum Spielen zu sich nach Hause einladen. Dann gingen er und seine Freunde zurück an ihren Tisch.
    Annette starrte mich an, während ich mich zitternd hinsetzte.
    »Bist du verrückt?«, fragte sie, und ihre Stimme klang schriller als sonst. »Der bringt dich um!«
    »Was soll ich denn machen?«
    »Du musst es jemandem erzählen. Erzähl es Mr Bogart!«
    Ich sah sie nur an.
    »Okay, vergiss Mr Bogart.« Annette zog grübelnd die Stirn in Falten. »Meine Mutter muss heute arbeiten, deshalb holt mich unsere Haushälterin von der Schule ab. Wir könnten es ihr sagen.«
    Ich dachte an die Haushälterin der Averys, die so vertrocknet und ernst ausgesehen hatte. Ich hatte nicht den Eindruck, mich ihr anvertrauen zu können. Wenn doch nur Mrs Avery Annette an diesem Tag abgeholt hätte! »Nein, erzähl ihr nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Sie mir nicht helfen.« Ich wusste, dass ich recht hatte. »Außerdem ich keine Petzerin.«
    Annette senkte die Stimme zu einem Zischen: »Hör zu, Kimberly, ich glaube, Luke hat ein Messer dabei. So was darf man ruhig petzen!«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte zwar Angst vor Luke, aber vor Erwachsenen hatte ich noch viel mehr Angst. Annettes Haushälterin würde vielleicht das Gespräch mit Mama oder Mr Bogart suchen, und dann käme alles heraus, was ich vor Mama geheim gehalten hatte: die gefälschten Unterschriften, die nicht bestandenen Prüfungen, die Zahnarztbescheinigung, die Zeugnisse, der Elternsprechtag.
    Annette packte mein Handgelenk. »Okay, dann bleibst du nach der Schule einfach bei mir. Wir springen ins Auto und fahren weg. Wir können dich zu Hause absetzen.«
    Ich hätte gerne eingewilligt, aber ich konnte

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