Goodbye Leningrad
erzählt, als er aufbrach?
Ich male mir meine bevorstehende Heirat als Theaterstück mit einer Pointe aus, die dem englischen Seminar der Leningrader Universität die Sprache verschlagen würde. Eine Hochschulabsolventin geht nach Amerika, würden die Studenten auf den Fluren flüstern, und in ihren Stimmen würde sowohl Respekt als auch Neid mitschwingen. Eine junge Assistentin aus der Philologischen Fakultät hat durch ihre Heirat mit einem Kapitalisten ihre Zukunft ausgelöscht, würde der Dekan verkünden.
Dann würden wir alle das altbekannte Spiel spielen. Nina würde so tun, als wäre sie schockiert. Natalija Borisowna würde so tun, als würde sie mich nicht kennen. Ich würde so tun, als würde ich nur ungern fortgehen.
|386| Wir befinden uns mitten im Trauungsraum des Hochzeitspalastes. Vor uns steht eine Frau in einem roten Kleid mit einer breiten roten Schärpe über der Brust und hält eine Rede über die Erschaffung einer neuen gesellschaftlichen Zelle. Die Ansprache ist auf internationale Eheschließungen abgestimmt: Es wird darin nirgends auf die von uns erwarteten künftigen Beiträge zur sowjetischen Gesellschaft oder zur Sache des Kommunismus angespielt. Drei Monate zuvor, als wir unseren Hochzeitsantrag ausfüllten, hat man mich von der Liste der vertrauenswürdigen Bürger gestrichen. »Mögen Sie ein Leben im Geist des Internationalismus und der Freundschaft zwischen allen Völkern führen«, sagt sie feierlich, mit einem rügenden Unterton, einem leisen Vorwurf an eine sowjetische Bürgerin, die beschlossen hat, einen Ausländer zu ehelichen.
Hinter uns hat sich eine kleine Schar von Verwandten und engen Freunden versammelt. Es ist vermutlich die kleinste Trauung, die dieser riesige Raum mit seiner vorrevolutionären hohen Decke je erlebt hat: Außer meiner Mutter, meinen Schwestern Marina und Galja und meiner provinziellen Tante sind da noch Nina, die im sechsten Monat schwanger ist und ein zeltartiges Kleid trägt, ihr Mann Rudik, meine Tante Mila, die tags zuvor aus Minsk angereist ist, und dahinter, als verstecke er sich vor den Blicken meiner Familie, Marinas Freund Gris in einem Marineanzug.
Jeder einzelne Satz der Ansprache, die mit dem Pathos einer Vollversammlung des Parteikongresses vorgetragen wird, hallt in den kristallenen Tropfen eines Kronleuchters aus Bronze wider, dem einzigen Stück in diesem Raum, der vom unverkennbaren sowjetischen Design verschont geblieben ist. Die Kristalltropfen klirren leise und verklingen schließlich, als die Frau ihre Ansprache beendet und uns auffordert, ihr zum Tausch der Ringe und Unterschreiben der Papiere aufs Podium zu folgen.
|387| Als ich den Raum durchquere, klebt das Polyesterkleid an meinen Beinen fest und knistert dabei wie Feuerwerkskörper zu Silvester, was bestimmt jeder im Raum hören kann. Die Frau schreitet auf eine rote Fahne aus Samt zu, auf die mit Goldfaden Hammer und Sichel gestickt sind. An der Wand über der Fahne hängt ein Schild: »Vorwärts, dem Sieg des Kommunismus entgegen!« Das Ausrufezeichen hat sich teilweise abgelöst und hängt an einer Seite wie ein in sich zusammengesunkener Betrunkener herunter. Sie führt uns zu der Stelle auf dem Podium, wo sich die Schachtel mit den Ringen befindet – die Ausbeute meiner Fahrt zu einem speziellen Laden, in dem jeder heiratswillige Bürger mit schriftlicher Bestätigung des Hochzeitspalastes zwei Ringe aus echtem Gold erwerben kann.
»Sie können jetzt die Ringe tauschen«, befiehlt die Frau, worauf Robert den kleineren der beiden nimmt. Als ich ihm meine Rechte entgegenstrecke, steht er plötzlich wie angewurzelt da, worauf ich ebenfalls erstarre, in der Annahme, er habe es sich doch noch anders überlegt und sei zur Vernunft gekommen.
»Welche Hand?«, flüstert er.
»Die rechte«, flüstere ich verwundert. Was soll die Frage? Jeder trägt den Trauring an der rechten Hand – jeder, der eine schriftliche Bestätigung vom Hochzeitspalast erhalten hat, um sich einen kaufen zu können.
Er schiebt den Ring auf meinen Finger und hält mir seine Rechte entgegen. Dann ziehen wir alle aus dem prachtvollen Trauungsraum in einen weniger prachtvollen Korridor, in dem Ninas Mann Rudik den Inhalt der beiden zur Zeremonie gehörenden Sektflaschen bereits in Gläser gießt. Ich leere mein Glas in einem Zug und dann noch das irgendeines anderen. Nina kommt zu mir und umarmt mich. Statt ihres üblichen Parfüms umgibt sie ein ungewohnter Duft, nach Wäsche und frisch
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