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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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Es ist gefährlich, ihm so nahe zu kommen, zumal wir soeben Sekt und Cognac und auch noch Stalins Wein durcheinandergetrunken haben, zumal dieser wehmütige Spaziergang in meinem Kopf manche rührselige Frage aufgeworfen hat. Als er mir gerade ins Ohr zu hauchen beginnt, befreie ich mich aus seinen Armen. »Ich muss nach Hause«, sage ich und schüttle den Kopf, als wollte ich Boris endgültig abschütteln. »Ich bin froh, dass du gekommen bist, um dich von mir zu verabschieden.«
    Er sieht mich mit noch immer leicht glasigen Augen an und versucht zu begreifen, was soeben geschehen ist. »Was ist dieser
amerikanez
überhaupt für einer?«, fragt er.
    »Ist doch egal«, sage ich. »Einfach nur ein netter Kerl. Ich muss gehen.«
    Seine Augen sind nun klar und dunkel. Er fährt mit seinen Fingern durch mein Haar und macht einen Schritt zurück. »Viel Glück, dummes Mädchen«, sagt er, »in deinem Amerika.«
    Dann geht er mitten auf die Kreuzung, um mir ein Taxi zu besorgen. Als ein Wagen auftaucht, winkt er ihn mit einem Handzeichen herbei   – einem V für den doppelten Fahrpreis   –, worauf das Taxi folgsam direkt neben ihm anhält. Boris’ Gestalt zeichnet sich gegen das hellgrüne Auto ab   – seine nach vorn geneigten Schultern, seine von der feuchten, salzigen Brise zerzausten Haare.
    Ich verabschiede mich mit einem Kuss auf seine Wange. Sie ist stoppelig und kratzt ein wenig, dennoch schmiege ich mich kurz an sein Gesicht. Dann gebe ich ihm einen letzten, heftigen, |379| salzigen Kuss auf die Lippen   – der nach dem Schwarzen Meer und nach dieser windigen Nacht schmeckt.
     
    Robert kommt am 24.   März an. Sie halten ihn auf dem Flughafen auf, allerdings nur, um die Taschen seines Parkas zu durchsuchen und eine halbe Stunde lang in seinem Adressbuch zu blättern. Bestimmt ist inzwischen meine Telefonnummer beim Innenministerium registriert, doch andererseits wurde sie in Anbetracht meiner englischsprachigen Vergangenheit wahrscheinlich ohnehin längst in den entsprechenden Akten vermerkt.
    Um Robert abzuholen, sind wir in einem Wolga zum Flughafen gefahren. Der Wagen gehört Marinas Freund Grigori Isaakowitsch, genannt Gris, der beinahe kahl und viel älter als Marina ist. Nachdem wir eine Stunde lang gewartet haben, erscheint plötzlich Roberts Kopf oberhalb der Absperrung, die die Sowjetunion vom Westen trennt. Er stößt die Glastür auf und betritt unseren Teil der Welt.
»Swolotschi«
, murmelt er auf Russisch, während er den Reißverschluss seiner Jacke schließt   – Dreckskerle. Mehr braucht er nicht zu sagen; wir wissen alle, wer mit
swolotschi
gemeint ist.
    Ich bin froh, dass Robert in Gedanken noch mit den übereifrigen Grenzposten beschäftigt ist, so brauche ich mir nicht zu überlegen, wie ich meinen Ehemann in spe begrüßen soll, der soeben von der anderen Seite des Erdballs hierhergeflogen ist, um mich zu heiraten. Er schüttelt den Kopf, wie um einen bösen Traum loszuwerden, während ich ein entschuldigendes Lächeln aufsetze. Dabei war nicht ich diejenige, die etwas von ihm wollte, die ihn gefilzt oder eingeschüchtert hat; nicht ich habe ihn dazu gebracht, einen jener russischen Ausdrücke zu wählen, die wir in Gegenwart meiner Mutter tunlichst vermeiden.
    |380| »Hier, das wird dich aufheitern«, sagt Gris, als wir im Auto sitzen, und gießt Sekt in vier nicht zueinander passende Teetassen, die er von zu Hause mitgebracht hat. »Lasst uns anstoßen: auf euch und euer gemeinsames Leben. Ein besseres Leben.« Wir erheben die Teetassen und trinken den süßen Sekt, der so kalt ist, dass die Luftblasen sich wie eisige Nadeln anfühlen und mich ganz benommen machen.
     

    Da Robert und ich in zwei Tagen heiraten, hat uns Galja, meine ältere Halbschwester väterlicherseits, ihre Wohnung überlassen. Sie befindet sich in einem Neubaugebiet, eine Stunde vom Zentrum entfernt, eine Ansammlung fünfstöckiger schmutzig-weißer Wohnblocks mit niedrigen Zimmerdecken, sogenannten
Chruschtschowki
, die seit den frühen Sechzigern auf Geheiß Chruschtschows gebaut wurden. Es war eine Genossenschaftswohnung, und mein Vater konnte sie dank seiner Beziehungen erwerben. Galja ist die einzige mir bekannte Person, der die Wohnung gehört, in der sie lebt.
    Galja hat sich bereit erklärt, während Roberts zweiwöchigem Aufenthalt bei einer Freundin unterzukommen, wobei sie sich einen wortlosen Kommentar nicht verkneifen konnte: Sie presste die Lippen zusammen und zog eine Augenbraue in die

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