GOR-Zyklus 02 - Der Geächtete von Gor
herumschleppte, war unvorstellbar und hätte ma n chem anderen zu schaffen gemacht. Das Bündel ragte fast eine Manneslänge über seinem gebeugten Rücken auf und hatte eine Breite von einem Meter und mehr. Ich wußte, daß der Zusammenhalt der Last teilweise von dem geschickten Einsatz von Seilen und Rückenmuskeln abhing, doch ganz eindeutig war auch schiere Kraft b e teiligt, und dieser Mann war wie seine Kastenbrüder durch Generationen für seine Aufgabe geformt worden.
Der Mann kam näher. Seine Augen waren fast völlig von einem struppigen weißen Haarbüschel verdeckt, das mit Blättern und Rindenstückchen durchsetzt war. Die Koteletten hatte er sich vermutlich mit seiner breiten, doppelt geschliffenen Holzfälleraxt abrasiert, die oben auf dem Bündel befestigt war. Er trug die kurze, durchl ö cherte ärmellose Robe seiner Kaste mit den ledernen Rücken- und Schulterstücken. Seine Füße waren nackt und bis zu den Knöcheln schwarz.
Ich trat vor ihn auf die Straße.
»Tal«, sagte ich, hob meinen rechten Arm, mit der Handfläche nach innen – der übliche goreanische Gruß.
Die zerzauste Gestalt, breit, kräftig, monströs verformt in der Ausübung ihres Berufes, stand vor mir, die Beine fest in die Straße gestemmt. Der Kopf kam hoch. Die breiten, schmalen Augen, hell wie Wasser, musterten mich durch das herabhängende Haar.
Trotz der langsamen Reaktion, trotz der abgewogenen und vorsichtigen Bewegungen hatte ich das Gefühl, daß er überrascht war. Er hatte offensichtlich nicht erwartet, auf dieser Straße jemanden anzutreffen. Das verwirrte mich.
»Tal«, sagte er mit schwerer Zunge.
Ich spürte, daß er überlegte, wie schnell er an seine Axt herankam, die oben auf seiner Last lag.
»Ich habe keine bösen Absichten«, sagte ich.
»Was willst du?« fragte der Holzträger, der inzwischen bemerkt haben mußte, daß mein Schild keine Insignien trug, und der mich jetzt sicher für einen Geächteten hielt.
»Ich bin kein Geächteter«, sagte ich.
Das glaubte er mir offensichtlich nicht.
»Ich habe Hunger«, fuhr ich fort. »Ich habe seit vielen Stunden nichts mehr gegessen.«
»Ich bin auch hungrig«, erwiderte er, »und habe viele Stunden nichts mehr gehabt.«
»Ist deine Hütte in der Nähe?« fragte ich. Ich wußte, daß das der Fall war, denn es war schon spät am Tage. Die Sonne regelte die meisten goreanischen Tagesablä u fe, und der Holzfäller war sicher auf dem Heimweg.
»Nein«, sagte er.
»Ich habe keine bösen Absichten gegenüber dir und deinem Heimstein«, sagte ich. »Ich habe kein Geld und kann dich nicht bezahlen, aber ich habe Hunger.«
»Ein Krieger nimmt sich, was er braucht«, sagte der Mann.
»Ich möchte dir nichts fortnehmen«, sagte ich.
Er sah mich an, und ich glaubte den Anflug eines L ä chelns auf seinem ledrigen Gesicht wahrzunehmen.
»Ich habe keine Tochter«, sagte er. »Ich habe kein Si l ber und keine sonstigen Güter.«
»Dann wünsche ich dir Erfolg und Reichtum«, erwide r te ich lachend. »Ich marschiere also weiter.«
Ich ging an ihm vorbei und wollte meinen Weg fortse t zen.
Ich hatte kaum einige Schritte zurückgelegt, als sein Ruf mich stoppte. Ich vermochte ihn kaum zu verstehen, denn die einsamen Menschen der Holzfällerkaste spr e chen selten.
»Ich habe Erbsen und Rüben, Knoblauch und Zwiebeln in meiner Hütte«, sagte der Mann mit dem Holzbündel, das wie ein Riesenbuckel wirkte.
»Die Priesterkönige selbst«, sagte ich, »könnten nicht mehr verlangen.«
»Dann teile mit mir das Brot, Krieger«, sagte der Mann.
»Ich bin geehrt«, sagte ich – und das stimmte.
Wenngleich ich einer hohen Kaste angehörte und er nicht, war er doch in seiner eigenen Hütte nach den gor e anischen Gesetzen der Alleinherrscher, denn dort befand er sich im Bereich seines Heimsteins. Ja, selbst ein feiger Mann, der in der Gegenwart höhergestellter Persönlic h keiten nicht den Blick zu heben wagt, mag über seinem Heimstein zum Löwen werden, stolz, herablassend, großzügig oder abweisend – ein wahrer König, und sei es nur in seiner eigenen kleinen Hütte.
Tatsächlich gab es eine Reihe von Geschichten, in d e nen selbst Krieger von wütenden Bauern überwältigt wurden, in deren Heim sie eingedrungen waren – denn in der Nähe ihrer Heimsteine kämpfen die Menschen unter Aufbietung ihres ganzen Mutes, kämpfen wie der berüc h tigte Berg-Larl. Es gibt so manches goreanische Kor n feld, das mit dem Blut unvorsichtiger Krieger getränkt
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