GOR-Zyklus 23 - Die Verräter von Gor
vorbei. Man nahm an langen Stäben befestigte Eimer, tauchte sie in den Kessel, zündete das geschöpfte Öl an und goß es auf die Angreifer. Ich passierte zwei Katapulte. Sie standen nutzlos da; sie waren nicht einmal bemannt.
Ich ging weiter zu der hohen Plattform über dem Tor, wo der Pfahl, der in der Sonne wie eine polierte Nadel funkelte, in seiner Halterung steckte. Ich kam an einem weiteren Burschen vorbei, der meiner Meinung nach ebenfalls viel zu jung war, um an den Zinnen zu stehen. In ihrem Alter hätten sie sich an den windigen Ecken der Märkte herumdrücken sollen, in der Hoffnung, daß der Wind den Schleier einer freien Frau lüpfte. Oder sie hätten hinter den Ständen ›Stein oder Ring‹ spielen sollen. Er duckte sich hinter einem Steinhaufen. Es ist schwer, Steine zielgerecht zu werfen, ohne dabei auf den Zinnen zu stehen. Natürlich steht der Werfer in diesem Fall deckungslos da. Der Junge schien in Gedanken versunken zu sein. Ich fragte mich, ob er vorher je auf der Mauer gestanden hatte. Vermutlich hatte er eine Mutter, die ihn liebte.
Als ich an ihm vorbeiging, sah er zu mir auf. Da erkannte ich, daß er nicht das erste Mal auf der Mauer stand und daß es sich bei ihm, auch wenn er dem Alter nach ein Junge war, um einen Mann handelte. Er senkte den Kopf und gab sich wieder seinen Gedanken hin, wie auch immer sie aussahen. Vor der Treppe zur Plattform gabelte sich der Wehrgang und führte um sie herum. Dort standen zwei Soldaten mit langschäftigen Dreizacken. Mit ihnen stößt man Sturmleitern zurück.
Ich drehte mich um und sah, wie etwa fünfzig Meter hinter mir eine Leiter über den Zinnenrand geschoben wurde. Die beiden abgemagerten und müden Soldaten schenkten ihr keinerlei Beachtung. Ein paar Männer stürmten bereits heran. Klingen trafen aufeinander. Mehr als ein Angreifer sprang auf den Wehrgang, die Leiter wurde umgestoßen. Plötzlich waren die Cosianer von ihren Leuten abgeschnitten. Männer warfen sich ihnen entgegen. Zwei wurden niedergemacht, der dritte kletterte über die Brustwehr und sprang in die Tiefe; er zog die möglichen Konsequenzen eines solchen Sturzes dem sicheren Tod auf dem Wehrgang vor. Man nahm seinen toten, verstümmelten Kameraden die Waffen ab und warf ihm die Leichen hinterher.
Ich eilte die breiten Steinstufen zur Plattform hoch. Sie war menschenleer, zumindest im Augenblick, vielleicht wegen ihrer Höhe und ihrer Position genau über dem Tor, gegen das in absehbarer Zeit der Rammbock anstürmen würde. Es wäre der ideale Kommandoposten für Aemilianus gewesen, aber er hielt sich vermutlich unten in der Nähe des Tores auf. Vielleicht glaubte er – möglicherweise sogar zu Recht –, daß dort die größte Gefahr drohte. Vermutlich hatte man hinter dem Tor mittlerweile Tonnen von Gestein aufgeschüttet. Trotzdem würde man sich mit der Ramme aller Voraussicht nach dort Einlaß zu verschaffen suchen; sie würde die in die dicken Holzbohlen des Tores eingelassenen Messingbeschläge durchschlagen, die verriegelnden Balken entzweibrechen und schließlich Schlag für Schlag die aufgeschichteten Felsbrocken zurückzwingen.
Ich legte Lady Publia auf dem Boden ab, neben der Pfahlhalterung.
Dann verbannte ich sie einen Augenblick lang aus den Gedanken.
Ich betrachtete die näher kommenden Belagerungstürme, die unzähligen Soldaten, die Leitern, die man herantrug, die Katapulte. Dann betrachtete ich die Mauer. Sie war mit zu wenigen Männern besetzt. Der Ausgang der Schlacht stand von vornherein fest. Die Cosianer hatten lange auf diesen Tag gewartet.
Zur Linken flatterte eine zerrissene Flagge trotzig im Wind; auf rotem Hintergrund prunkte in Gelb der Buchstabe ›Ar‹, darunter schlängelte sich eine gelbe Linie. Es war die Flagge von Ar-Station, die von Ars Macht am Vosk kündete. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie dort noch lange flatterte.
Dann hob ich den langen Spieß aus der Halterung und legte ihn mit einem hörbaren Laut neben meine gefesselte Gefangene. Sie wollte aufstehen, aber es gelang ihr nicht. Dann versuchte sie wegzukriechen, aber ich packte sie am Fußgelenk und zog sie näher zu mir heran.
»Bitte, nein!« schluchzte Lady Claudia und streckte die Hand aus. Ich stieß sie beiseite.
Ich ging neben Publia in die Hocke. »Würdest du dich zur Sklavin erklären?« fragte ich.
Sie wand sich, stieß zustimmende Laute aus und nickte heftig.
»Du erkennst meine Stimme?«
Sie nickte erneut.
»Du erklärst dich also dem Gesetz
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