Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
dem Herzog des einen noch dem des anderen Landes, sondern nur dem Kaiser, wobei dessen Befugnisse allerdings beschränkt waren, denn sie wurde vom Orden selbst verwaltet.
Dort befand sich die Ordensburg, und Gorian hatte in den Büchern seines Vaters Abbildungen davon gefunden, Kupferstiche zumeist, von denen er allerdings nicht wusste, wie originalgetreu sie waren. Immer wieder hatte er Nhorich über die Ordensburg befragt, aber Nhorich hatte sich bei diesem Thema immer recht wortkarg gegeben.
»Dann brauchen wir also nicht erst durch ganz Estrigge und das Estlinger Land zu reiten, um zur Ordensburg zu gelangen!«, sagte Gorian aufgeregt.
»Deine Entscheidung steht demnach fest, und du wirst dich dem Orden anschließen?«, fragte Thondaril. »Auch wenn du damit dem Willen deines Vaters zuwiderhandelst?«
»Ich muss meine eigenen Entscheidungen treffen.«
»Richtig. Aber Centros Bal wird uns nicht umsonst mitnehmen, und auch wenn die Mitnahme meines Steitrosses den Großteil der Summe ausmacht, kostet auch dein Gewicht. Also überleg es dir nicht wieder anders, sobald wir auf Gontland gelandet sind.«
Gorian nickte. »Meine Entscheidung steht fest.«
»Gut«, murmelte Thondaril.
»Aber meine Bedingung auch: Ich will die Ausbildung in allen fünf Häusern beginnen!«
»Das kann ich dir nicht versprechen, Gorian. Ich bin weder ein Oberer noch gar der Hochmeister persönlich. Aber ich gehöre dem Entscheidungskonvent an und werde dein Anliegen vorbringen. Das ist alles, was ich in dieser Sache für dich tun kann.«
Gorian zögerte. »Und Ihr würdet das vor dem Entscheidungskonvent auch befürworten, obwohl Ihr es doch eigentlich für einen Ausdruck von Vermessenheit und Größenwahn haltet, was ich verlange?«
Thondaril lächelte. »Du wurdest unter einem besonderen Zeichen geboren, Gorian. Und ich will nicht daran schuld sein, dass dem Orden ein so überaus großes Talent entgeht, wie du es bist.«
Gorian atmete tief durch. Mehr, so schien es, konnte er nicht herausholen.
15
Begleiter
Ein wirrer Traum suchte Gorian in dieser Nacht heim. Ar-Don sprach zu ihm, aber Gorian konnte die Gedankenstimme des Gargoyle diesmal nicht verstehen, sie war zu undeutlich. Ein Schwall chaotischer Bilder drang in seine Seele. Meister Domrich kam darin vor, aber da war auch eine fremde Erinnerung, und zwar an jenen Moment, als Ar-Don zum ersten Mal versucht hatte, Gorian zu töten. Er sah sich selbst als zehnjährigen Jungen, allerdings aus der Perspektive des Angreifers.
Und dann fühlte er plötzlich einen ungeheuren Druck auf der Brust, so als wäre dort ein sehr schweres Gewicht abgelegt worden.
Ein Stein!, durchfuhr es ihn.
Er konnte kaum atmen, rang verzweifelt nach Luft …
… und öffnete die Augen!
Auf seiner Brust saß ein katzengroßer steinerner Drache, der aus seinem Inneren heraus rötlich leuchtete, so als würde er glühen.
Ar-Don!
Obwohl sich das Äußere des Gargoyle seit ihrer letzten Begegnung stark verändert hatte, war sich Gorian vollkommen sicher, dass er es war. Die Flügel hatten zwar ebenso eine andere Form angenommen wie der Kopf und vor allem das Drachengesicht des steinernen Wesens. Die Flügel waren größer geworden und hatten fast etwas Vogelartiges, nur dass sie keine Federn hatten, sondern vollkommen aus Stein waren. Und in den Gesichtszügen dominierten nun die echsenhaften, tierischen Elemente. Da war nicht einmal der Hauch einer Ähnlichkeit mit dem Gesicht von Meister Domrich.
Das Wesen öffnete das Maul, entblößte die Zähne und stieß ein durchdringendes Fauchen aus. Der Atem, der Gorian ins Gesicht blies, roch nach Schwefel und war fast betäubend. Die zwei Vorderpranken des kleinen Steindrachen wuchsen an, und Krallen drangen aus den sich verlängernden Fingern hervor, die an Obsidian-Klingen erinnerten, während die Pranken den Händen der weißen Sprechaffen ähnelten.
Blitzschnell griffen sie nach Gorians Hals, zuckten vor, während das Wesen gleichzeitig seine Färbung veränderte und innerhalb eines Augenaufschlags giftgrün wurde.
Gorian war wie gelähmt.
Etwas schnellte durch die Luft. Gorian konnte im Halbdunkel des Raums, der vom Mondschein, der durch das Fenster sickerte, und den Lichtern der Stadt schwach erhellt wurde, nur eine Bewegung wahrnehmen. Das Fauchen des Gargoyle verwandelte sich in einen schrillen, schmerzvollen Laut und vermischte sich mit dem Kraftschrei eines Ordensmeisters.
Eine Klinge drang durch den Stein und ließ ihn in drei
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