Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
eine ganze Weile unterwegs sein.«
Gorian hatte von den Traumblumen gehört. Die Gryphländer handelten damit und brachten sie bis weit in den Norden. Angeblich ließen sie denjenigen, der an ihnen roch und sich dabei geistig auf ihre Wirkung einließ, in Traumwelten von beeindruckender Intensität versinken, bei denen der Unterschied zur Wirklichkeit nicht mehr erkennbar war. In den Ländern des Südens trösteten diese Blumen die Armen über Kummer und Elend hinweg, aber im Norden konnten sich diesen Trost nur die Reichen leisten, denn der aufwändige Transport verteuerte die Ware um ein Vielfaches.
»Tu mir einen Gefallen und entferne diese Pestilenz wider die geistige Gesundheit, soweit du das kannst!«, forderte Thondaril von dem junger Greifenreiter.
»Es war nicht meine Absicht, Euch zu verärgern«, betonte Fentos Roon und verneigte sich leicht. »Ganz im Gegenteil, es war eine Geste der Gastfreundschaft.«
»Der Ausblick aus dem Fenster reicht uns vollkommen als Ablenkung während des Fluges«, erklärte Thondaril auf ziemlich harsche Weise.
Fentos Roon wandte sich an Gorian. »Gilt dies auch für Euch, junger Herr?«
Gorian, der durchaus neugierig gewesen wäre, die Wirkung der Traumblumen einmal selbst auszuprobieren, kam gar nicht dazu, zu antworten, denn Thondaril fuhr sofort dazwischen.
»Dies gilt sogar ganz besonders für meinen Begleiter!«, versetzte er in einem Tonfall, dessen Schärfe keinerlei Möglichkeiten ließ, ihn in irgendeiner Weise misszuverstehen.
Der Greif flog Tag und Nacht und ohne Zwischenlandung über die Weiten des Herzogtums Estrigge und des Estlinger Landes. Centros Bal lenkte seinen Greifen überwiegend selbst. Nur ein paar Stunden in der Nacht gönnte er sich eine Pause. Der Flug wurde jedoch auch während des Reiterwechsels nicht unterbrochen. Fentos Roon trat dann auf den kleinen Balkon der Gondel und ließ sich von einer der dressierten Seilschlangen umfassen und hinauf auf den Rücken des Greifen hieven, und auf gleiche Weise gelangte Centros Bal während des Flugs zurück in die Gondel, um sich dort auszuruhen.
Der Schwall kalter Luft, der bei diesen Manövern ins Innere drang, gab Gorian einen vagen Eindruck davon, wie frostig es in diesen Höhen war. Wenn er aus einem der Fenster hinabsah, konnte er zwischenzeitlich kaum noch Einzelheiten erkennen.
Im Morgengrauen erreichten sie den Gont, und der Greif folgte ihm flussabwärts, bis er sich in zwei mächtige Arme teilte, die wenig später im Meer mündeten. Das Land zwischen diesen beiden Flußarmen, die das Delta des Gont bildeten, war das Land des Ordens der Alten Kraft.
Gontland.
Sanfte Hügel und kleinere Waldstücke waren vorherrschend. Es gab kleine Ansiedlungen und Fischerhäfen an beiden Flussarmen, außerdem Gehöfte und bestellte Felder; allein von geistiger Nahrung konnten auch die Mitglieder des Ordens nicht leben. Die Ordensburg selbst lag an der Küste auf einem schroffen Felsmassiv, und etwas tiefer gelegen gab es einen dazugehörigen Seehafen. Sowohl der Hafen als auch die eigentliche Burg wurden von einer gemeinsamen Mauer umschlossen, die in einem Halbkreis weit hinaus ins Meer reichte und ein großes Hafenbecken bildete, wo Dutzende von Koggen vertäut waren. An Größe und Fassungsvermögen konnte es der Ordenshafen sicherlich mit den Häfen von Thisia oder Thiskaren aufnehmen, fand Gorian.
Der Greif landete im inneren Hof der Ordensburg, der von den fünf Häusern der Heiler, Magier, Seher, Schwertkämpfer und Schattenmeister umgrenzt war. An der Westseite erhob sich die gewaltige, von fünf Türmen umgebene Kuppel der Kathedrale, die dem Ersten Meister, dem Gründer des Ordens, gewidmet war.
Als Gorian und Thondaril die Gondel verließen, hatten sich draußen Dutzende von Ordensschülern und einige Meister versammelt, die durch das Auftauchen des Greifen angelockt worden waren.
»Du wolltest doch immer etwas Besonderes sein«, raunte Thondaril Gorian zu. »Auf jeden Fall bist du wohl der einzige Schüler dieses Jahrgangs, der mittels eines Greifen zur Ordensburg gelangt ist.«
Die Schüler, die den Greifen umstanden, bildeten eine Gasse, und ein graubärtiger Mann in der dunklen Kleidung eines Ordensmeisters trat auf die Gondel zu. Er trug ein goldenes Amulett vor der Brust, das Gorian sogleich als das Zeichen des Hochmeisters erkannte.
»Seid gegrüßt, Hochmeister Aberian«, sagte Thondaril, der mit Gorian die Gondel verlassen hatte, und verneigte sich.
»Es freut mich, dass
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