Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
dessen bewusst ist, was mit ihm geschah.«
»Deine geistige Krankenwache hat sicher seinen Zustand verbessert«, meinte die Heilerin Hebestis. Sie war von unbestimmtem Alter, bewegte sich einerseits wie eine Frau in mittleren Jahren, andererseits sprachen die Falten in ihrem Gesicht und das völlig erbleichte Haar dafür, dass sie schon sehr viel älter sein musste. Faroch hingegen war deutlich jünger, konnte kaum älter als dreißig Sommer sein. Sein eher rundes Gesicht bekam durch den schwarzen Kinnbart eine markante Kontur, und Gorian erinnerte sich flüchtig daran, dieses Gesicht bei seiner Ankunft kurz in der zusammengelaufenen Menge gesehen zu haben, ohne dass er ihm eine größere Bedeutung zugemessen hätte.
»Du kannst jetzt gehen«, sagte Faroch zu Sheera, ohne dabei den Blick von Gorian zu nehmen. »Eine geistige Krankenwache ist für eine Schülerin in deinem Stadium sehr erschöpfend. Du wirst einige Übungen zur Regeneration durchführen müssen.«
»Ich bin stark und spüre keine Auswirkungen«, antwortete sie.
»Das bedeutet nicht, dass sie nicht vorhanden sind – nur dass du noch nicht aufmerksam genug bist, um sie zu bemerken«, gab Faroch zurück.
Die beiden Heiler warteten, bis Sheera den Raum verlassen hatte. Ein letztes Mal warf sie Gorian einen Blick zu, und abermals hatte er das Gefühl, ihr Gesicht zu kennen. »Ich komme aus Nelbar … Oquitonien …« Nein, diese Worte hatten nichts in ihm ausgelöst, und doch war die innere Verbindung zwischen ihnen unzweifelhaft vorhanden.
Hebestis trat an Gorians Lager und legte ihm die Hand auf die Stirn, wobei sie angestrengt die Augen schloss. Ihr faltiges Gesicht krampfte sich regelrecht zusammen, so als empfände sie Schmerzen, die eigentlich Gorian empfinden müsste. Als sie die Augen wieder öffnete, sagte sie in einem Tonfall absoluter Sicherheit: »Sein Zustand ist überraschend gut. Die Stücke Sternenmetall, die seinen Körper durchdrungen haben, scheinen nichts zerstört zu haben, was mit unserer Magie nicht zu heilen wäre.«
»Das ist erstaunlich«, meinte Faroch.
»Vielleicht ist er es! Der, auf den wir warten!«, nahm Gorian einen Gedanken wahr, der zweifellos von Hebestis stammte und ganz sicher nicht für ihn bestimmt gewesen war.
Sie schien zu bemerken, dass er ihren Gedanken mitbekommen hatte, und ein Ausdruck der Überraschung legte sich auf ihr Gesicht. Ihre Augenbrauen waren so dünn und hell, dass sie kaum zu sehen waren, aber die entsprechenden Muskeln bewegten sich und erzeugten ein Faltenmuster auf ihrer Stirn. Sie sprach ein paar Worte in alt-nemorischer Sprache, die normalerweise nur für magische Formeln benutzt wurde. Doch diesmal diente sie nicht der Anwendung eines Zaubers, wie Gorian rasch erkannte. »Er hat großes Talent, und ich habe selten jemanden gesehen, in dem so viel von der Alten Kraft wirksam ist«, bedeuteten ihre Worte. Sie nahm wohl an, dass ein angehender Schüler wie Gorian kein Alt-Nemorisch beherrschte – abgesehen vielleicht von ein paar auswendig gelernten magischen Formeln -, und hielt es angesichts des großen magischen Talents, das sie Gorian zumaß, für eine weitaus bessere Methode, sich mit Faroch in dieser uralten Sprache zu unterhalten, um Gorian von dem Gespräch auszuschließen, da der Genesende ihre Gedankenübermittlung offenbar mitbekam.
»Aber bedenke, wie viel schwarzes Blut seine Wunden verlassen hat«, antwortete Faroch nach einer Pause, ebenfalls in Alt-Nemorisch.
»Es war viel Finsternis in ihm«, gab Hebestis zurück.
»Vielleicht zu viel«, befürchtete Faroch.
»Aber ist Finsternis nicht das sicherste Mittel, um Finsternis zu bekämpfen?«
»Es kommt auf die Dosis an.«
»Das Axiom der Heiler … Aber ich bin mir nicht sicher.«
»Inwiefern?«
»Vielleicht hat es nicht immer Gültigkeit. Ich habe schon häufiger darüber nachgedacht, aber ich bin zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen.« Und dann fügte sie noch ein paar Worte hinzu, deren Bedeutung Gorian nicht zu erfassen vermochte, dafür waren seine Kenntnisse des Alt-Nemorischen dann doch noch zu bescheiden.
Schließlich nahm Faroch ihm die Steine ab, einen nach dem anderen, und jedes Mal sprach er dazu eine Heilformel, ebenfalls auf Alt-Nemorisch, wobei er in eine Art Singsang verfiel. Er hatte die Augen geschlossen, aber selbst durch die Lider drang immer deutlicher ein grünliches magisches Leuchten.
Gorian glaubte, eine Zentnerlast wäre von ihm genommen, als schließlich keiner der Heilsteine
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