Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
Essenz eines üblen Geistes, stieg auf in den Himmel und verwirbelte.
Wenige Augenblicke später war von dem achtbeinigen Bären nichts als verkohlte Knochen übrig.
Ar-Don stieß einen fauchenden Laut aus, wobei sich sein steinernes Drachenmaul, in dem sich nun die Hauer eines Orxaniers zeigten, noch einmal enorm vergrößerte, während sich gleichzeitig Flügel und Hinterbeine zurückbildeten. Das nashorngroße Wesen machte ein paar Schritte und schüttelte sich dann wie ein Hund, der aus dem Wasser gestiegen war. Teile der äußeren Schichten seines steinernen Körpers lösten sich, fielen als grauer Staub von ihm ab. Zugleich erreichte Gorian ein sehr starker, den Gargoyle offenbar im Moment vollkommen beherrschender Gedanke. »Will Ar-Don bleiben … Nur Ar-Don … Andere fort …«
Der von seinem Bann befreite Gargoyle bewegte sich mit zögernden Schritten auf den Waldrand zu, blieb dabei immer wieder stehen und schüttelte sich erneut. Manchmal stieß er dabei Geräusche aus, die zunächst an die rauen, kehligen Stimmen der Orxanier erinnerten, deren Körpermasse er verwandelt und in sich aufgenommen hatte. Aber je mehr dieser Substanz als Staub von ihm abfiel, desto mehr wurden die Laute, die er von sich gab, zu einem Zischeln.
Schließlich war er nur noch so groß wie eine Katze. Für einen kurzen Moment bildete sein Leib zwei Köpfe aus, von denen einer Meister Domrich ähnelte, der andere eher echsenhaften Charakter hatte. Beide verschmolzen miteinander und wurden zu einem einzigen, im Verhältnis zum Gesamtkörper recht großen Haupt.
»Hast du nicht versprochen, mir zu dienen?«, dachte Gorian. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sich Ar-Don nun, da der Bann von ihm genommen war, nicht mehr an sein Versprechen gebunden fühlte.
Der katzengroße Gargoyle blieb stehen, drehte sich um und blickte Gorian an, so als hätte er den eigentlich gar nicht als Botschaft gemeinten Gedanken vernommen.
Seine Farbe wechselte von Steingrau in ein dunkles Rot, das im Mondlicht leicht schimmerte. Der mittlerweile überwiegend echsenhafte und im Verhältnis zum Restkörper recht große Kopf schrumpfte, dafür vergrößerten sich die Flügel, und das Wesen flatterte auf, flog zu dem immer noch in einem Eisblock eingefassten Dolch namens Rächer. Der Eisblock schmolz zwar bereits, aber angesichts seiner enormen Größe hätte es Tage gedauert, bis er den Dolch freigegeben hätte.
Der Gargoyle vergrößerte die Krallen seiner echsenhaften Pranken zu dornartigen Fortsätzen. Seine Augen veränderten ihre Färbung von Pechschwarz in Grellgelb. Im Vorüberfliegen trafen zwei Schläge der dornbewehrten Pranken den Eiskristall und ließen ihn in mehrere Stücke zerfallen, die sich, wie von magischer Hand zerschlagen, abermals teilten.
Der Dolch fiel zu Boden und lag zwischen all den kleinen, an Hagelkörner erinnernden Eiskristallen.
»Schütze dich … selbst!«, erreichte Gorian neben einem Schwall wirrer innerer Bilder noch ein letzter klarer Gedanke des Gargoyle. Dann drehte Ar-Don eine Runde über den Tempel der Alten Götter und verschwand in der Dunkelheit der Baumkronen.
Die zahlreichen Frostkrieger, die noch am Waldrand abgewartet hatten, was geschah, hatten sich – sofern sie das noch konnten – davongemacht. Viele allerdings lagen reglos dahingestreckt am Boden, denn Frogyrr hatte ihnen die Existenzkraft entzogen, um den magischen Schutzschirm zu brechen, der den Tempel der Alten Götter umgeben hatte.
Einige aber kauerten noch zwischen den Bäumen, die meisten in der Dunkelheit der Nacht kaum sichtbar. Sie hatten gesehen, was geschehen war. Und sie wussten genau, dass sie ohne Frogyrr nicht mehr lange in diesem für sie so warmen Land existieren konnten.
Gorian beschloss, bis zum Ende der Nacht beim Tempel zu bleiben. Das Mondlicht erlaubte es ihm hier zumindest, einen Feind rechtzeitig zu erkennen. Sehen ist eine Voraussetzung des Voraussehens, und das Voraussehen ermöglicht das Überleben, lautete ein Axiom des Ordens, an das sich Gorian in diesem Moment erinnerte. Das Ziel des Meisters aber ist die Ahnung trotz vollkommener Dunkelheit …
Gorian nahm an, dass sein Vater und sein Großvater dieses Stadium einst erreicht hatten. Und eines Tages würde vielleicht auch er so weit sein. Vorausgesetzt, er schloss sich tatsächlich noch dem Orden an.
Ob er das wirklich tun sollte, war ihm allerdings längst nicht mehr klar. Innerlich war er zerrissen, und die Zukunft erschien ihm wie ein einziges,
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