Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
waren und wie groß das Gebiet war, das sie unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Es war sogar denkbar, dass Frogyrr nicht der einzige unter den Eisgöttern war, den Morygor nach Thisilien gesandt hatte.
Und selbst wenn diese Eiskrieger nun als herrenlose Untote durch die Lande irrten, war sicherlich nicht mit ihnen zu spaßen.
In dem Waldgebiet, durch das er kam, entdeckte Gorian Fußspuren, die nur von Orxaniern stammen konnten. Er hatte diese Spuren schon früher immer gut zu erkennen gewusst, wenn der Boden nach einem Frühjahrsregen aufgeweicht war und Gaerth oder einer der anderen Orxanier auf dem Hof seines Vaters welche hinterlassen hatte.
Aber diese Spuren stammten ganz gewiss nicht von freien Orxaniern, die vor den Horden des Herrn der Frostfeste ins Heilige Reich geflohen waren und im Herzogtum Thisilien eine neue Heimat gefunden hatten. In dieser Gegend gab es keine Höfe, auf denen sie sich verdingen konnten.
Es musste sich um untote Frostkrieger handeln. Offenbar waren sie in noch größerer Zahl ausgeschwärmt, um ihn zu fangen, als er bisher geahnt hatte. Und nun irrten diese Untoten durch die thisilischen Wälder, versuchten vielleicht zurück zur Küste zu gelangen, um noch eines der Ruderschiffe zurück in den Norden zu erwischen. Aber vielleicht ahnten manche von ihnen auch, dass sie sich nun allein durchschlagen mussten, da Frogyrr sie nicht mehr anführen konnte und es ihrem Herrn und Meister Morygor wahrscheinlich vollkommen gleichgültig war, was aus ihnen wurde.
In der nächsten Nacht kampierte Gorian an einem Bach, und als er von dem kühlen, klaren Wasser trank, musste er unwillkürlich an Beliak und dessen besondere Beziehung zu den Wassergeistern denken. Wie sehr wünschte er sich doch, dass der Adh einfach aus der Erde herauswachsen würde, um ihm erneut mit Rat und Tat beizustehen. Aber sehr wahrscheinlich musste er sich von der Hoffnung, Beliak irgendwann einmal wiederzusehen, verabschieden. Der untote Langzahnlöwe, mit dem zusammen er in die Tiefe des Untererdreichs gestürzt war, war gewiss auch dort ein grausamer, überlegener Gegner. Beliak hatte sich für Gorian geopfert und vermutlich dort unten in diesem Reich der Tiefe, in das Gorian ihm nicht folgen konnte, ein furchtbares Ende gefunden.
Allein schon um seinetwillen durfte Gorian seinen Plan nicht aufgeben. Er lauschte den Geräuschen des Waldes, während er gegen einen knorrigen Baumstamm lehnte und etwas Schlaf zu finden versuchte. Er hatte einige der Beeren entdeckt, die er zusammen mit Beliak verzehrt hatte, und aß diese. Ein bitterer Geschmack blieb dabei in seinem Mund zurück.
Er verzichtete auf ein Feuer. Sein Vater hatte ihm zwar gezeigt, wie man auch unter einfachsten Bedingungen und mit nur geringfügiger Anwendung von Magie und dem Wissen über die Brennbarkeit bestimmter Pilze Feuer machen konnte, aber Gorian fürchtete, damit seine Feinde anzulocken.
Möglich, dass die herumvagabundierenden Reste jener Frostkrieger-Horde, die nach Thisilien gekommen war, um ihn zu töten, ihren Auftrag längst vergessen hatten. Vielleicht verfluchten sie inzwischen sogar denjenigen, der sie befehligt hatte und sie nun ihrem Schicksal überließ. Aber nach allem, was er von seinem Vater und anderen über Morygors Kreaturen erfahren hatte, zeichneten sie sich vor allem dadurch aus, dass sie den Willen ihres Herrn bedingungslos und bis in die letzte Konsequenz umzusetzen versuchten, ohne Rücksicht auf sich selbst.
Gorian erinnerte sich daran, wie ihm bei den Erzählungen seines Vaters geschaudert hatte, wenn dieser davon berichtete, was mit den Untoten geschah, sobald sie Geschöpfe Morygors geworden waren. Wie sie sich veränderten und anfangs vielleicht sogar noch deutliche Spuren ihrer früheren Seelen präsent blieben, sodass es diejenigen kalt berührte, wenn sie einem Untoten begegneten, den sie in dessen früherem Leben gekannt hatten. Aber je länger die Untoten ihr neues Dasein fristeten, desto unwichtiger wurde das, was sie einst gewesen waren. Es hieß, dass Morygor manche von ihnen einfach vernichtete, weil sie mitunter auch die Fähigkeiten ihres früheren Lebens mit der Zeit verloren und dann für den Herrn der Frostfeste keinen Wert mehr hatten.
»Was müssen die Meister des Ordens für einen Mut haben, dass sie es wagen, gegen Morygor zu kämpfen«, hatte Gorian damals zu seinem Vater gesagt. »Schließlich ist doch jeder von ihnen in Gefahr, selbst zu einer jener Kreaturen zu werden, die er
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