Gorian 2
ich.« Während er dies sagte, betastete er seine eigene Wunde an der Schulter, die ihm wohl mehr zu schaffen machte, als er es zeigen wollte.
In diesem Moment schmerzte eigenartigerweise auch Gorians nie ganz verheilte Schulterverletzung, und Torbas sah ihn plötzlich an, so als würde er es spüren. Sie tauschten einen Blick, aber keinen Gedanken.
»Glaubt bloß nicht, alle Schwierigkeiten lägen hinter uns, wenn wir die Inseln der Caladran erreichen«, meldete sich der Namenlose Renegat wieder zu Wort. »Sie fangen dann erst an.«
»Wisst Ihr von einer Gefahr, der wir bald gegenüberstehen könnten?«, wollte Thondaril wissen. »Wenn dem so ist, solltet Ihr etwas deutlicher werden.«
Der uralte Caladran sah den zweifachen Ordensmeister nicht einmal an. Er hatte die Augen geschlossen und hockte im Lotussitz neben der Metalltruhe mit den Caladran-Schriften. Seine Hände hielt er so, dass sich die Kuppen der Finger beinahe berührten. Kleine rötliche Lichtblitze tanzten völlig geräuschlos zwischen ihnen. Offenbar handelte es sich um eine Art geistiger Übung, mit der sich der Namenlose auf die Rückkehr zu seinem Volk vorbereitete.
»Keiner von euch würde auch nur ansatzweise verstehen, was ich sage«, wehrte er Thondarils Aufforderung ab. »Und auch, wenn ich im Gegensatz zu euch genug davon habe, so hasse ich es, meine Zeit zu verschwenden.«
Draußen wurde es eisig kalt. Schneidender Gegenwind traf die Gondel und drang durch alle Ritzen und selbst durch kleinste Öffnungen ins Innere. Alles, was sich an Decken und Kleidern in der Gondel finden ließ, wurde verteilt. Manchmal war der Wind so stark, dass die Gondel schräg hinter dem unbeirrbar vorwärtsstrebenden Greifengargoyle hergezogen wurde, dessen mal fauchende, mal krächzende Laute sich mit dem Tosen des Eiswindes mischten.
Zog Yaal hatte sogar seine Greifenreiter-Handschuhe übergezogen und schlug seine Fäuste gegeneinander. »Jetzt rächt es sich, dass Centros Bal immer am Bitumen gespart hat. Kein Wunder. Wenn er dort oben auf dem Greifen saß, hat er ja nicht gespürt, dass es hier unten zieht wie in der windigen Kathedrale von Tulia.«
Die Kathedrale von Tulia galt als das größte Gebäude, das die Baumeister von Mitulien je errichtet hatten. Es lag auf
einem hohen Felsen über dem Meer, und wenn die vielen Außenklappen geöffnet wurden, wehte der Wind hinein und wurde in Tausende von Pfeifen geleitet, sodass Musik zu Ehren des Verborgenen Gottes entstand. Niemand wusste, wie lange es noch dauern würde, bis der Eispanzer des Frostreichs auch dieses erhabene Wunder mitulischer Baukunst niederwalzen würde.
Meister Thondaril wandte einen herkömmlichen Wärmezauber an, der allerdings keine Wirkung zeigte. Fast konnte man den Eindruck haben, dass der kalte Wind diese Art von Magie außer Kraft setzte.
Für Gorian war das nur ein weiterer Hinweis darauf, dass das Wetter, mit dem sie es zu tun hatten, keineswegs nur von ungünstigen Luftströmungen hervorgerufen wurde.
»Kennt Ihr nicht zufällig einen tauglichen Wärmezauber?«, fragte Meister Thondaril den Namenlosen Renegaten. »Oder ist so etwas unter den Caladran unbekannt?«
»Wir sind nicht sehr kälteempfindlich«, antwortete ihm der Namenlose. »Ihr Menschen würdet die Wirkung eines Wärmezaubers, den ein Caladran webt, wahrscheinlich gar nicht bemerken.«
Gorian registrierte, dass er wir sagte, als er von den Caladran sprach. Er schien sich innerlich mehr und mehr auf seine Rückkehr zu seinem Volk vorzubereiten und seine bisherige Distanziertheit zu überwinden.
Die Stunden zogen dahin, doch das Wetter besserte sich nicht. An Schlaf war nicht zu denken, zu sehr wurde die Gondel immer wieder vom Wind umhergeschaukelt. Eisblumen bildeten sich an den Scheiben.
Gorian nahm mehrmals mit Ar-Don Verbindung auf, und die Gedanken des Greifengargoyles wurden ihm immer rätselhafter. Aber Gorian war sich sicher, dass Ar-Don immer
noch genau vor Augen hatte, wohin er fliegen musste, und seine Kräfte waren auch noch längst nicht aufgebraucht. Zudem spürte Gorian den überaus starken Willen, der Ar-Don beseelte. Ein Wille, der sich nicht in klar formulierten Gedanken äußerte, sondern auf diffuse Weise in seiner geistigen Kraft. Die Seele von Meister Domrich war zwar längst nicht die stärkste Entität in diesem Wesen, aber im Moment schien es diejenige zu sein, die bestimmend war und dafür sorgte, dass Ar-Don weiterhin verbissen gegen den Wind ankämpfte.
Nur kurz nickte
Weitere Kostenlose Bücher