Gorian 3
Leviathan schien das Aufbrechen des Eises vorausgeahnt zu haben und war der Fontäne gerade noch ausgewichen. Und das war gut so, denn dieser Ausbruch war stark genug, selbst dieses gewaltige Geschöpf meilenweit in die Höhe zu schleudern.
»Ich sagte es doch!«, rief Eldamir. »Ein Elementarzauber – er manipuliert Luft und Wasser!«
Die Fontäne erstarrte zu einer Säule aus Eis, in der sich ein fratzenhaftes Gesicht abzeichnete. Morygors Züge waren darin erkennbar.
Der Leviathan war von wilder Panik ergriffen. Offenbar war sein Selbsterhaltungstrieb wieder erwacht, nachdem Gorian seinen Geist Morygors Herrschaft entrissen hatte. Er bewegte sich in einem fast chaotischen und kaum vorhersehbaren
Kurs über das Eis. Gorian versuchte ihn daran zu hindern, denn er fürchtete, dass ihm die Herrschaft über die Kreatur völlig entglitt.
»Lass ihn!«, riet Sheera. »Das Element des Chaos – es ist einer der wenigen Feinde Morygors, der es mit ihm aufnehmen kann.«
»Und du meinst, der Leviathan weiß das?«
»Wer kennt seinen Herrn besser als sein Sklave?«
Gorian folgte ihrem Rat und ließ dem Leviathan mehr Freiheit, indem er jene Kraft, die er nach wie vor über Sternenklinge auf das riesige Ungetüm wirken ließ, etwas abmilderte. Der Leviathan änderte vollkommen unvorhersehbar die Richtung und schien außerdem ein gutes Gespür dafür zu haben, wann und wo sich die Elementarströme unter dem Eis erneut zu einer aufschießenden Fontäne sammelten.
Genau dort, wo sich gerade noch sein gewaltiger Leib befunden hatte, brach erneut das Eis auf, und eine Eisplatte von der Größe einer caladranischen Himmelsbarkasse wurde von dem Wasser in die Höhe geschleudert. Nur Augenblicke später verfestigte sich die Fontäne zu einer pilzförmigen Säule, in der sich ein hausgroßes Fratzengesicht bildete, das wie ein Sinnbild zorniger Erstarrung wirkte.
Der Leviathan schnellte nach links, wich weiteren Fontänen aus. Nur einen Moment später brach jedoch auch rechts von ihm das Eis auf, und ein Wasserstrahl, so breit wie einer der Kathedralentürme von Toque, schoss empor. Er berührte die Seite des Leviathans. Der Riesenwurm hatte noch versucht auszuweichen, aber nicht mehr ganz verhindern können, dass die Wasserfontäne ihn streifte, und das mit einer solchen Wucht, dass er ein Stück durch die Luft geschleudert wurde. Krachend schlug er zurück aufs Eis, durch das sich Risse zogen. Die Fontäne erstarrte derweil zu einer Säule. Ihr pilzähnlicher Kopf brach ab und stürzte auf Gorian nieder.
Sheera hob die Hände und versuchte den Eisblock abzulenken. Eldamir handelte blitzschnell, griff zum Bogen, legte einen seiner Pfeile aus purer Finsternis ein und schoss.
Der Schattenpfeil bohrte sich in den Eisbrocken und übertrug auf ihn zischend seine Finsternis. Sheera spürte, dass er sich auf einmal sehr viel leichter ablenken ließ und ihre Kräfte eine viel größere Wirkung erzielten.
Der Brocken sauste an ihnen vorbei, schlug auf und zersprang, wobei die Bruchstücke Myriaden von Schwarzlichtfunken versprühten.
»Das ist die Magie der Vergessenen Schatten«, erklärte der Blinde Schlächter, während er Sheera einen spöttischen Blick zuwarf, der ihr nicht gefallen wollte und sie schaudern ließ. »Vielleicht werdet Ihr ja tun, wogegen sich Euer Gefährte so standhaft sträubt«, meinte er.
»Wovon redet Ihr?«, fragte Sheera.
»Davon, meinen Namen zu rufen, Fürstin.« Er lachte laut auf. »Womöglich habe ich Euch unterschätzt.«
»Wenn Ihr versucht, uns gegeneinander auszuspielen, dann lasst Euch gesagt sein, dass dies sinnlos ist«, erwiderte Sheera kühl. Erst nach ein paar Augenblicken fiel ihr auf, dass der Maladran eine alte Form der caladranischen Sprache benutzt und sie alles verstanden hatte. Ob das an den intensiven Gedanken lag, die die Worte des Blinden Schlächters stets begleiteten, oder vielleicht schon an der kurzen Berührung mit dem Wissen aus dem Reich des Geistes, die sie gehabt hatte, als sie Gorian nach dessen ersten und für ihn beinahe tödlichen Besuch dort geheilt hatte, sie hätte es nicht zu sagen vermocht. Das Wissen, das sie auf dem Umweg über Gorians Geist aufgenommen hatte, hatte auch sie beinahe getötet, aber vielleicht hatte sich insgesamt doch mehr davon bei ihr erhalten, als sie anfangs gedacht hatte.
Umgekehrt schien der Maladran auch ihre Sprache sehr wohl zu verstehen. Er las vermutlich einfach ihr Gedanken. Sein dünnlippiger Mund verzog sich zu einer
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