Gorian 3
die Gletscher nicht hatten vordringen können.
In diesem Moment erhoben sich ein paar der Himmelsschiffe im Hafen. Es handelte sich um ein Dutzend besonders erhabene Exemplare. Und mit einem Mal waren sie auch bemannt. Hier und dort konnte man Gestalten an Deck sehen. An Bord des Flaggschiffs Hoffnung des Himmels glaubte Gorian für einen Moment eine Frau auf dem Achterdeck auszumachen.
Orawéen!
Die Gemahlin von König Abrandir blickte kurz in Gorians Richtung, dann drehte sich das aufsteigende Schiff, und die breiten Hauptäste des Stadtbaums versperrten die Sicht auf das Achterdeck.
Kurz darauf war das Schiff bereits so weit aufgestiegen, dass man vom Boden aus nur noch auf die Unterseite blicken konnte.
Hatten sich die Verteidiger des Stadtbaums die ganze Zeit über in den Schiffen aufgehalten, um fluchtbereit zu sein? Sich in einem Stadtbaum zu befinden, der sich mit dermaßen heftigen Bewegungen zur Wehr setzte, wie es gerade geschehen war, war sicherlich nicht ratsam. Andererseits gab es aber im Wurzelbereich Teile, die davon völlig unberührt geblieben waren.
»Und weshalb sehen sie uns als ihre Feinde an?«, erreichte Gorian Sheeras verzweifelte Gedankenfrage, auf die er im Moment keine Antwort wusste. »Sie müssen uns doch erkennen! Warum bekämpfen sie uns dann so heftig?«
Gorian versuchte eine gedankliche Verbindung herzustellen, zu Orawéen, zu Meister Thondaril, zu König Abrandir … Zu wem von diesen, spielte keine Rolle, aber es gelang ihm einfach nicht.
Gleichzeitig musste er an die Warnung denken, die Meister Thondaril ihm gesandt hatte. Eine Warnung, deren Wortlaut
allerdings verstümmelt und deren Sinn damit unverständlich gewesen war.
Die Caladran-Schiffe kreisten mittlerweile über ihnen am Himmel, und der von Finsternis erfüllte Baum schien sich für einige Augenblicke vorerst etwas zu beruhigen.
Gorian atmete tief durch.
Beliak lief zu ihm und Sheera, und die überlebenden Maladran begannen sich zu sammeln.
»Sie haben alle an Körperlichkeit verloren«, stellte Sheera fest.
Gorian war das bereits aufgefallen. Keiner der Maladran wirkte noch so diesseitig, wie er noch vor kurzem gewesen war, als sich diese finsteren Krieger in ihren Übungskämpfen gegenseitig Arme und Beine abgehackt hatten. Auch der Krieger mit den dunklen Flügeln glich wieder eher einem Schatten als einer Gestalt aus Fleisch und Blut. Seine fratzenhaft verzogenen, tierhaft wirkenden Gesichtszüge verblassten hin und wieder, und dann schimmerte der Schädelknochen geisterhaft durch Haut und Fleisch.
Andere hingegen schienen nur noch aus purer Finsternis zu bestehen, manche von ihnen gingen schon gar nicht mehr über den eisigen Boden, sondern schwebten darüber hinweg. Entsprechend schnell konnten sie herbeieilen.
Eldamir gehörte zu jenen unter den Maladran, die noch am meisten von ihrer Körperlichkeit behalten hatten. Er rief eine Reihe von Namen, musste aber feststellen, dass manche der Maladran schon nicht mehr darauf reagierten.
»Habt ihr eure Namen vergessen, ihr Verfluchten?«, rief er. »Erinnert euch daran, sonst wird euch niemand mehr rufen können, und ihr seid wieder das, was ihr nie wieder sein wolltet, verblassende Schatten im Jenseits, von denen nicht einmal ein böser Gedanke im Reich des Geistes bleiben wird!«
Murrend wurde ihm geantwortet, doch es waren wieder überwiegend Gedankenstimmen und nicht tatsächlich ausgesprochene Worte, aus denen diese Erwiderungen bestanden, und manche dieser Worte waren nur verständlich, wenn man den dazugehörenden Gedanken erfassen konnte.
So als hätten sie die Worte vergessen, ging es Gorian schaudernd durch den Kopf.
9
9 Ein gefallener Stein
In diesem Moment öffnete sich im Stamm des Stadtbaums ein Tor. Es war so hoch und groß, dass zwei Gespanne nebeneinander hätten einfahren können.
Krieger marschierten in geschlossenen Kolonnen ins Freie. Es waren augenscheinlich Caladran. Ihre bleichen Gesichter wirkten entschlossen. Ihre dünne Kleidung schien in einem krassen Gegensatz zur kalten Witterung zu stehen. Die messingfarbenen Harnische schimmerten in dem schwachen Licht der Sonnensichel, das noch durch den Nebel drang.
Sie waren ausschließlich mit Schwertern bewaffnet. Schlanke, lange Klingen aus caladranischem Stahl, die leicht in der Hand lagen. Wie geschaffen, um ihre Hiebe mit Magie zu unterstützen.
Auf ihren Helmen trugen viele von ihnen die Feldrune von König Abrandir.
»Sieht nicht so aus, als wollte man uns freundlich
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