Gorian 3
einmal das Wasser. Zunächst so, als befänden sich direkt unter der Oberfläche Tausende von quirligen Fischen, die sich entschlossen hatten, im selben Moment wie wild mit den Schwanzflossen zu zappeln. Dann bildete sich ein schäumender Strudel, der etwa den Durchmesser einer vollen Schiffslänge hatte.
Je schneller sich dieser Strudel drehte, desto dunkler wurde die Oberfläche des Meeres in diesem Bereich. Als sie dann schließlich ganz schwarz war, wurde sie vollkommen glatt. Während sich der helle Mondschein und all die Lichter der Stadt Nelbar und der benachbarten Caladran-Schiffe ansonsten überall im Wasser spiegelten und es glitzern ließen, schien dieser ovale Bereich jegliche Helligkeit zu verschlucken. Keine noch so leichte Welle erreichte das Innere des Ovals.
Gorian konnte vor seinem inneren Auge deutlich Brass
Telir erkennen, den obersten Schamanen am Hofe König Abrandirs. Er trat aus dem Kreis der Schamanen und Magier heraus an die Reling und streckte die Hände aus. Lichtstrahlen schossen aus seinen Handflächen und trafen die glatte, scheinbar aus purer Finsternis bestehende Fläche, die daraufhin verschwand und innerhalb weniger Augenblicke nicht mehr zu sehen war.
Dann drehte sich Brass Telir herum und sagte: »Verschließt besser euren Geist. Der Menschenabkömmling mag über die Maßen begabt sein, aber es ist noch zu früh, ihn einzuweihen.«
In diesem Augenblick verschwammen die Bilder vor Gorians innerem Auge.
Aber auf Deck hörte er die Schritte der Caladran, deren leichtfüßige Art zu gehen für ihn inzwischen sehr deutlich zu erkennen war.
Er blickte neben sich. Sheera hatten die Gedanken der Schamanen und Magier nicht geweckt. Allerdings berichtete sie ihm am nächsten Morgen von einem seltsamen Traum, der sich fast genau mit dem deckte, was Gorian gesehen hatte.
Als er später an die Reling trat und jene Stelle betrachtete, wo sich zuerst der Strudel und dann der vollkommen glatte, dunkle Bereich befunden hatte, spürte er ganz schwach und auch nur für einen flüchtigen Moment eine magische Kraftquelle, die sich in großer Tiefe befinden musste.
Gorian sprach Meister Thondaril darauf an, doch dieser gab sich völlig ahnungslos. Gorian hatte dabei nicht das Gefühl, dass ihm der zweifache Ordensmeister in dieser Hinsicht nicht die Wahrheit sagte, andererseits war er nie ganz sicher, was sich hinter den hart geschnittenen, wie geschnitzt wirkenden Zügen tatsächlich abspielte.
»Ich werde bei Gelegenheit mit König Abrandir darüber
sprechen«, versprach Thondaril. »Aber im Moment gibt es Wichtigeres zu tun.«
»Was?«
»Sheera und du, ihr werdet mich in die Siebte Burg von Nelbar begleiten. Sie wird in Zukunft das Zentrum unseres Ordens sein. Es steht einiges an Prüfungen und Bewährungen an.«
»Prüfungen? Bewährungen?«, fragte Gorian erstaunt.
Meister Thondaril nickte. »Es gibt nur noch wenige, die einen Meisterring des Ordens tragen und sowohl ihr Leben als auch ihre Seele haben retten können. Also werden wir dafür sorgen müssen, dass sich ihre Zahl wieder vergrößert, indem wir einige Schüler zu Meistern ernennen. Abgesehen davon muss ein neuer Hochmeister gewählt werden.«
»Dazu müsste der Entscheidungskonvent der Oberen einberufen werden«, entfuhr es Gorian.
»Die Situation des Ordens ist schlimmer, als dir offenbar bewusst ist, Gorian. Der Entscheidungskonvent existiert nicht mehr, und auch das Amt eines Oberen wird es in Zukunft nicht mehr geben.«
»Was?«
»Du glaubst nicht, wie viele Verräter es gegeben hat. Ich habe auch erst nach und nach vom ganzen Ausmaß unseres Versagens erfahren. Jeder, der einen Meisterring trägt, wird jetzt Verantwortung übernehmen müssen, denn wir sind nicht mehr viele.«
Eine Barkasse brachte Gorian, Sheera und Thondaril zur Siebten Burg von Nelbar. Sie befand sich ganz im Osten des Stadtgebietes, direkt an der Mündung des Bar. Sie hatte einen eigenen Hafen, in dem mehrere Schiffe unter der Flagge des Ordens der Alten Kraft vor Anker lagen.
»Wem hat der Orden es zu verdanken, dass er diese Burg als seinen neuen Stammsitz nutzen kann?«, fragte Gorian.
»Wie meinst du das?«
»Dem Herzog von Eldosien oder dem Magistrat der Stadt?«
»Es ist der Magistrat«, antwortete Thondaril. »Dort haben die Kaisertreuen die Mehrheit, und der Orden hat immer auf Seiten der Kaiser aus Laramont gestanden. Der Magistrat erhofft sich wohl durch alles, was dem Kaiser hilft, eine Stärkung der eigenen Selbstständigkeit
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