Gorian 3
gegenüber dem Herzog, der den Magistrat vermutlich am liebsten sofort davonjagen würde.«
»Die alten Ränkespiele.« Gorian schüttelte den Kopf. »Selbst im Angesicht einer schwarzen Sonne und einer Wand aus Eis, die alles unter sich zu begraben droht, wetteifern der Kaiser und der Herzog noch um den Einfluss im Magistrat einer Hafenstadt. Man kann es kaum fassen.«
»Nun, man sollte allen Beteiligten zugutehalten, dass diese Entscheidungen überhaupt getroffen wurden«, gab Meister Thondaril zu bedenken.
»Dennoch – mir scheint, der Orden hat ein bemerkenswertes Talent, sein Schicksal mit der schwächeren Seite zu verbinden: Er kämpft für das Heilige Reich und gegen Morygor und stellt sich gegen den Herzog von Eldosien, um sich für einen machtlos gewordenen Kaiser einzusetzen.«
»Ich bin schon zufrieden, dass es den Orden überhaupt noch gibt«, erwiderte Thondaril. »Und so etwas wie den Großen Bannstein im Nord-Eldosischen Gebirge kann niemand sonst erschaffen. Ich bezweifle sogar, dass die Caladran dazu in der Lage wären, denn es ist nicht nur eine Frage der magischen Begabung, sondern auch der Organisation.«
Sie gingen an Land.
Am Burgtor hielten zwei Ordensschüler Wache. Sie trugen Harnische.
»Sie können noch nicht lange beim Orden sein«, äußerte Sheera auf lautlose Weise, »sonst wären ihre Gedanken besser abgeschirmt, und sie selbst wären vor allem …«
»Stärker?«, fragte Gorian.
»Ja, so kann man es ausdrücken.«
»Wir waren auch so, Sheera. Es ist noch gar nicht lange her.«
»Nein, Gorian. So schwach waren wir nie. Und die beiden sind älter als wir.«
»Wahrscheinlich ist man froh, überhaupt jemanden gefunden zu haben, der angesichts der Umstände bereit ist, sich auf die Ausbildung einzulassen.«
»Und das Talent spielt keine Rolle mehr?«
»Es wird Aufgabe des jeweiligen Lehrers sein, es zu wecken, wenn dies die Natur nicht getan hat.«
»Seid gegrüßt, Meister Thondaril«, sagten die beiden Schüler wie aus einem Mund. Aufgrund der zwei Meisterringe wurde Thondaril auch von jenen Ordensangehörigen sofort erkannt, die ihm persönlich nie begegnet waren.
»Wie heißt ihr?«, fragte Thondaril.
»Farol aus Bara.«
»Serion aus Tejan.«
»Ihr habt einen schweren Weg gewählt«, stellte Thondaril fest.
»Es scheint, als gäbe es im Moment keinen leichten«, erwiderte Serion aus Tejan. »Warum also nicht diesen, ehrwürdiger Meister?«
»Ein weiser Gedanke.«
»Ihr werdet schon erwartet, Meister. Und Ihr ebenso, Meister Gorian. Die Nachricht von Eurem Kampf am Speerstein hat sich überall verbreitet. Ihr seid ein Vorbild für alle, die
sich nicht damit abfinden wollen, dass Morygors Frostreich siegt.«
»Habt Ihr die Kunde von meinem Kampf am Speerstein von Orxanor verbreitet?«, fragte Gorian, als sie durch einen der Säulengänge im Innenhof der Siebten Burg schritten. Meister Thondaril schien den Weg genau zu kennen.
»Es spricht nichts dagegen, Gutes zu tun und darüber zu reden«, erwiderte Thondaril.
»Es ist nicht meine Art, mit irgendwelchen Großtaten herumzuprahlen – und erst recht nicht mit einer Niederlage!«
»In der Erzählung kann sich manche Niederlage in einen Sieg verwandeln«, entgegnete Thondaril. »Du solltest dir darüber keine weiteren Gedanken machen. Ich habe mich vielleicht mit dem einen oder anderen befreundeten Ordensmeister über Handlichtlesen darüber ausgetauscht, das ist alles. Aber dass es jemand wagte, so tief ins Frostreich vorzudringen, ist allein schon ein Zeichen der Hoffnung, darum ist es mir nur recht, wenn deine … Großtat weitererzählt wird.«
Auf einmal drang aus einer der Wände schwarzer Rauch, der sich rasch verdichtete. Wie ein Schwarm winziger Insekten schwirrten die feinen Teilchen in einem Wirbel umeinander.
Im nächsten Moment verstofflichte sich daraus die Gestalt eines jungen Mannes, der die dunkle Kleidung und den Ring der Schattenmeister trug.
Gorians Hand war unwillkürlich zum Schwertgriff geschnellt.
»Meister Shabran!«, stieß er aber erleichtert hervor, als er sein Gegenüber erkannte. Es war schon eine Weile her, als sie dem Schattenmeister zuletzt in Embador begegnet waren,
wo sich dessen Mentor, Meister Parrach, der den Orden so lange als Gesandter im Westreich vertreten hatte, als Verräter erwies.
»Einer, der den Ring des Schwertmeisters trägt, sollte gelassener auf die plötzliche Erscheinung eines Ordensbruders reagieren«, meinte Shabran mit leicht spöttischem Unterton.
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