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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Stapel Schallplatten neben ihr und stelle fest, dass die Langspielplatten von eins bis fünfzehn durchnummeriert sind. Da anzunehmen ist, dass die Morde gegen Abend verübt wurden, gehe ich den Plattenstapel von hinten durch. Nummer fünfzehn ist natürlich ein Potpourri aus >Schwanensee<. Und Nummer vierzehn?
    Ausgerechnet die >Ouvertüre zu 1812< mit Kanonen, Pauken und Trompeten! Dann werde ich endlich schlauer. Warum sind die Schallplatten nummeriert? Ich halte mir eine vors Gesicht und frage: >Wie laut spielen Sie die Platten?< Sie reagiert nicht; sie hat nichts gehört, weil sie taub ist! Eine taube Alte macht die Musik im Gorki-Park!«
    Ein letztes Winterwochenende auf dem Land. Die Scheibenwischer kämpften gegen große weiche Schneeflocken an. Eine Flasche Wodka musste als Ausgleich für die unzulängliche Autoheizung herhalten.
    Sonja saß hinten mit Natascha Mikojan, Arkadi vorn neben Michail Mikojan, seinem ältesten Freund.
    Die beiden Männer hatten den Komsomol, ihren Wehrdienst, die Moskauer Universität und den Vorbereitungsdienst für Juristen gemeinsam absolviert. Sie hatten den gleichen Ehrgeiz gehabt, die gleichen Trinkgelage gefeiert, für die gleichen Dichter geschwärmt und manchmal sogar die gleichen Freundinnen gehabt. Der schlanke, kleine Mischa mit seinem Babygesicht unter schwarzem Wuschelhaar war nach dem Vorbereitungsdienst ins Städtische Anwaltskollegium eingetreten.
    Offiziell verdienten Strafverteidiger nicht mehr als Richter - rund 2000 Rubel im Monat. Inoffiziell zahlten ihre Mandanten doppelte und dreifache Honorare, so dass Mischa sich gute Anzüge, einen Rubinring am kleinen Finger, Pelze für Natascha, ein Landhaus und einen zweitürigen Schiguli leisten konnte.
    Die schwarzhaarige Natascha, die so zierlich war, dass sie Kinderkleidung tragen konnte, arbeitete als Redakteurin bei der Presseagentur Nowosti und ließ jährlich eine Abtreibung vornehmen. Sie vertrug die Pille nicht, versorgte aber ihre Freundinnen damit.
    Die Datscha lag etwa 30 Kilometer östlich von Moskau. Mischa hatte wie üblich ein gutes halbes Dutzend Freunde fürs Wochenende eingeladen. Als die Gastgeber und ihre Begleiter beladen mit Brotlaiben, Heringsgläsern und Wodkaflaschen hereinkamen und den Schnee von ihren Stiefeln stampften, wurden sie von einem jungen Paar, das gerade seine Skier wachste, und einem dicken Mann begrüßt, dessen Pullover zu platzen drohte, als er sich am offenen Kamin zu schaffen machte.
    Weitere Gäste folgten: ein Kulturfilmregisseur und seine Geliebte; ein Balletttänzer, dem seine unscheinbare Frau wie eine Ente ihrem Erpel folgte. Die Neuankömmlinge zogen sich zum Langlaufen um - die Männer in einem Zimmer, die Frauen in einem anderen.
    Sonja wollte bei Natascha bleiben, die sich noch von ihrer letzten Schwangerschaftsunterbrechung erholte. Draußen hörte es zu schneien auf; der Neuschnee lag als dicke weiche Decke über der Hügellandschaft.
    Mischa genoss es, seine Skispur durch die Birkenwälder zu ziehen. Arkadi gab sich damit zufrieden, ihm zu folgen und zwischendurch stehen zu bleiben, um die verschneite Landschaft zu bewundern. Er lief mit langen, federnden Schritten und holte den voraushastenden Mischa jedes mal mühelos ein.
    Nach einer Stunde machten sie eine Pause, damit Mischa das Eis, das sich zwischen Schuhen und Skiern gebildet hatte, abkratzen konnte. Arkadi sah ihm, auf seine Stöcke gestützt, zu.
    Mischa bearbeitete die Eiskruste in der gleichen Weise, wie er vor Gericht auftrat: energiegeladen, dramatisch. Als kleiner Junge hatte er die lauteste Stimme gehabt - ein winziges Boot mit einem riesigen Segel. Er hämmerte auf seine Skier ein.
    »Arkascha, ich habe ein Problem.« Er ließ die Skier fallen.
    »Wer ist’s diesmal?«
    »Eine neue Schreibkraft, ein junges Ding von knapp neunzehn Jahren. Natascha hat Verdacht geschöpft, fürchte ich. Na ja, ich treibe kaum Sport und spiele nicht Schach - was bleibt einem da schon als Freizeitvergnügen? Das Lächerliche daran ist, dass ich buchstäblich an den Lippen der Kleinen hänge, obwohl sie vielleicht der ungebildetste Mensch ist, den ich je kennen gelernt habe. Eine Liebesaffäre ist eigentlich gar nicht schön, wenn man selbst drinsteckt. Und vor allem nicht billig.«
    Mischa knöpfte seufzend seine Jacke auf und zog eine Flasche Wein heraus. »Ein guter französischer Sauternes, den mir der Balletttänzer mitgebracht hat. Angeblich der beste Dessertwein der Welt. Willst du einen Schluck?«
    Mischa

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