Gorki Park
hatte die Flasche vorsorglich entkorkt und hielt sie seinem Freund hin. Arkadi nahm einen Schluck. Der bernsteingelbe Wein war zuckersüß.
»Süß?« fragte Mischa, als Arkadi das Gesicht verzog.
»Nicht so süß wie manche russischen Weine«, sagte Arkadi patriotisch.
Sie tranken abwechselnd. Um sie herum fiel Schnee von den Bäumen - manchmal mit dumpfem Aufprall, manchmal kaum hörbar. Arkadi war gern mit Mischa zusammen. Am schönsten war dieses Zusammensein, wenn Mischa den Mund hielt.
»Liegt Sonja dir noch immer mit der Partei in den Ohren?« erkundigte Mischa sich.
»Ich bin Parteimitglied, ich habe ein Mitgliedsbuch.«
»Aber nur mit knapper Not. Was kostet es schon, ein bisschen aktiver zu sein? Man geht einmal im Monat zur Versammlung und kann dort sogar Zeitung lesen. Einmal im Jahr wird gewählt, und zwei-, dreimal im Jahr sammelt man Unterschriften für eine Verurteilung Chinas oder Chiles. Du tust nicht mal das. Du hast nur ein Parteibuch, weil du sonst nicht Chefinspektor sein könntest. Das weiß jeder, deshalb wärst du gut beraten, wenn du dich ein bisschen häufiger auf Parteiversammlungen blicken lassen würdest.«
»Dass ich auf Versammlungen fehle, hat jedes mal einen guten Grund.«
»Klar. Kein Wunder, dass Sonja wütend ist. Du solltest auch ein bisschen an sie denken. Bei deinen Leistungen könntest du’s mühelos zum Inspektor beim Zentralkomitee bringen. Dann könntest du kreuz und quer durchs Land reisen, die örtlichen Milizen inspizieren, Kampagnen einleiten und dafür sorgen, dass die Milizgenerale sich vor Angst in die Hosen scheißen.«
»Das klingt nicht sonderlich reizvoll.«
»Das ist kein Argument. Wichtig wäre, dass du in Zentralkomitee-Geschäften einkaufen könntest, gelegentlich ins Ausland dürftest und Verbindung zu den Männern hättest, die im Zentralkomitee die Personalentscheidungen treffen. Du wärst auf dem Weg nach oben.« Mischa warf Arkadi einen prüfenden Blick zu. »Ich sehe schon, dass du dich nicht von mir umstimmen lassen willst. Warum redest du nicht mal mit Jamskoi? Er mag dich.«
»Tatsächlich?«
»Wodurch ist er denn so berühmt geworden, Arkascha? Durch den Fall Wiskow. Vor dem Obersten Gerichtshof prangert Jamskoi den Apparat an, der den jungen Arbeiter Wiskow fälschlich zu fünfzehn Jahren wegen Totschlags verurteilt hat. Ausgerechnet der Moskauer Staatsanwalt Jamskoi als Vorkämpfer der Bürgerrechte! Und wer hat diesen Fall erneut aufgerollt? Du! Wer hat Jamskoi mit der Drohung, den Fall in Fachzeitschriften zu veröffentlichen, zum Handeln gezwungen? Du! Deshalb hat Jamskoi plötzlich beschlossen, zum Helden dieser Geschichte zu werden. Er ist dir einiges schuldig. Andererseits wäre er vielleicht froh, dich wegloben zu können.«
»Seit wann hast du Verbindung mit Jamskoi?« fragte Arkadi interessiert.
»Oh, ich habe kürzlich mit ihm zu tun gehabt. Wegen eines Mandanten, der behauptete, meine Honorarforderung sei überhöht. Dabei war sie keineswegs überhöht, denn ich habe erreicht, dass der Schweinehund freigesprochen worden ist. Der Staatsanwalt hat den Fall erstaunlich verständnisvoll beurteilt. Im Gespräch ist dann auch dein Name gefallen. Die Sache hätte mir den Hals brechen können, mehr möchte ich dazu nicht sagen.«
Mischa sollte so unverschämte Honorarforderungen gestellt haben, dass ein Freigesprochener sich offiziell beschwert hatte? Arkadi hätte seinen Freund niemals für korrupt gehalten. Auch Mischa schien dieses Eingeständnis zu bedrücken.
»Dabei hab ich den Kerl freigekriegt!« Er schüttelte den Kopf. »Warum hab ich bloß soviel Geld verlangt?«
Arkadi bemühte sich, das Thema zu wechseln. »Vor zwei Tagen bin ich zufällig Wiskows Eltern begegnet«, berichtete er. »Sein Vater führt jetzt ein Schnellrestaurant am Paweletski-Bahnhof. Was für eine Odyssee die beiden hinter sich haben!«
»Arkascha, du bringst mich noch zur Verzweiflung!« explodierte sein Freund. »Begreifst du nicht, wie wichtig es ist, mit den richtigen Leuten zu verkehren?« Mischa sprach leiser weiter. »Ich hab von den Leichen im Gorki-Park und deiner neuerlichen Auseinandersetzung mit Major Pribluda gehört. Bist du übergeschnappt?«
Als sie zurückkamen, war nur noch Natascha im Haus.
»Sonja ist mit Leuten aus der Nachbardatscha unterwegs«, erklärte sie Arkadi. »Mit einem Mann mit einem deutschen Namen.«
»Sie meint Schmidt.« Mischa zog sich am Kamin die Stiefel aus. »Du kennst ihn bestimmt, Arkascha. Schmidt
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