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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Osborne sei eher eine Ansammlung teurer Einzelteile - Ring, Uhr, Profil, Zähne - als eine Persönlichkeit. Das hätte der korrekten sozialistischen Einstellung entsprochen und wäre in gewisser Beziehung sogar richtig gewesen, aber etwas wäre dabei unberücksichtigt geblieben: der Eindruck von beherrschter Energie, den dieser Mann ausstrahlte. Das hatte Arkadi nicht erwartet, und er kam sich selbst steif und inquisitorisch vor. Das musste sich ändern.
    »Ich wollte schon immer eine Pelzmütze«, sagte er. »Und Amerikaner kennen lernen. Soviel ich gehört habe, sind sie genau wie wir. Und ich wollte schon immer New York und das Empire State Building und Harlem besuchen. Ich beneide Sie um die vielen Reisen, die Sie bestimmt machen.«
    »Nicht nach Harlem.«
    »Entschuldigen Sie mich bitte.« Arkadi stand auf. »Sie kennen hier viele wichtige Männer, mit denen Sie sprechen möchten, und sind zu höflich, um mich zum Gehen aufzufordern.«
    Osborne rauchte seine Zigarette und starrte Arkadi ausdruckslos an, bis dieser tatsächlich einen Schritt in Richtung Becken machte.
    »Bleiben Sie bitte noch«, sagte der Amerikaner rasch. »Ich habe sonst nie mit Kriminalbeamten zu tun. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen und mir von Ihrer Arbeit erzählen lassen.«
    »Ich erzähle Ihnen gern davon.« Arkadi nahm wieder Platz. »Im Vergleich zu dem, was wir aus New York hören, wird Ihnen meine Arbeit allerdings ziemlich eintönig vorkommen. Ehestreitigkeiten, Rowdys. Wir haben auch Morde aufzuklären, die jedoch fast ausnahmslos im Affekt oder unter Alkoholeinwirkung verübt werden.« Er zuckte, wie um Entschuldigung bittend, mit den Schultern und trank einen Schluck Sekt. »Schmeckt wunderbar. Sie sollten ihn wirklich importieren.«
    Osborne schenkte ihm nach. »Erzählen Sie mir von sich selbst.«
    »Das könnte ich stundenlang«, versicherte Arkadi ihm eifrig und leerte sein Glas mit einem Zug. »Ich habe wunderbare Eltern und wunderbare Großeltern gehabt. In der Schule hatte ich vorbildliche Lehrer und höchst kameradschaftliche Mitschüler. Und über jeden einzelnen meiner Mitarbeiter und Kollegen könnte man ein Buch schreiben.«
    »Sprechen Sie manchmal auch über Ihre Misserfolge?« erkundigte Osborne sich lächelnd.
    »Ich persönlich kenne keine Misserfolge«, behauptete Arkadi.
    Er löste den Knoten seines Handtuchs, das er um den Hals geschlungen trug, und ließ es auf das Handtuch fallen, das Osborne auf den Diwan geworfen hatte. Der Amerikaner starrte die verfärbte Schwellung auf seiner Brust an.
    »Ein Unfall«, erklärte Arkadi ihm. »Ich hab’s schon mit Wärmflaschen und Infrarotbestrahlung versucht, aber gegen solche Schwellungen hilft am besten ein Schwefelbad. Die Ärzte erzählen einem alles mögliche, aber die alten Hausmittel sind oft besser. Tatsächlich ist die sozialistische Kriminologie das Gebiet, auf dem die größten Fortschritte …«
    »Um darauf zurückzukommen«, unterbrach Osborne ihn. »Was ist Ihr interessantester Fall gewesen?«
    »Sie meinen die Leichen im Gorki-Park? Darf ich?« Arkadi nahm sich eine von Osbornes Zigaretten und benützte das Feuerzeug des Amerikaners. Er bewunderte die blauen Steine. Die schönsten Lapislazuli kamen aus Sibirien; so ausgesucht schöne hatte er noch nie gesehen.
    »In der Presse hat natürlich nichts darüber gestanden … « Arkadi zog an seiner Zigarette. »Trotzdem ist mir klar, dass ein so seltsamer Fall Anlass zu Gerüchten gibt. Vor allem in Ausländerkreisen, nicht wahr?«
    Er konnte die Wirkung seiner Worte nicht beurteilen, denn Osborne lehnte sich mit ausdrucksloser Miene zurück.
    »Davon hab ich gar nichts gewusst«, sagte der Amerikaner, als das Schweigen peinlich zu werden drohte.
    Jewgeni Mendel kam mit der Mitteilung zurück, dass kein Anruf für Osborne gekommen sei. Arkadi stand sofort auf, entschuldigte sich für die Störung und bedankte sich für die Gastfreundschaft und den Sekt. Er griff nach Osbornes Handtuch und schlang es sich um den Hals.
    Osborne beobachtete ihn geistesabwesend, bis Arkadi die Alkoventür öffnete. »Wer ist Ihr Vorgesetzter?« wollte er dann wissen. »Wer ist der Chefinspektor?«
    »Ich.« Arkadi lächelte gutmütig.
    Nach einigen Schritten in Richtung Ausgang fühlte er sich wie ausgepumpt. Plötzlich stand Jamskoi neben ihm.
    »Ich habe doch hoffentlich recht gehabt, als ich behauptet habe, Ihr Vater und Mendel seien Freunde gewesen?« Er klopfte Arkadi auf die Schulter. »Arbeiten Sie nur

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