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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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zum Gefängnistor hinüber.
    »Er darf in Zukunft nur ein Paket pro Jahr empfangen.«
    »Fünfzehn Pakete«, murmelte Schwan, als frage er sich bereits, was er hineinpacken solle.
    Obwohl Moskau der UdSSR den Weg ins 21. Jahrhundert wies, bewahrte es sich eine geradezu viktorianische Vorliebe für Bahnreisen. Der Kiewer Bahnhof in der Nähe des Ausländergettos war Ausgangspunkt für Reisen in die Ukraine. Von dem etwas weiter nördlich liegenden Bjelorussischen Bahnhof waren Stalin im Hofzug des Zaren nach Potsdam und Chruschtschow und Breschnew zu Inspektionsreisen durch die Satellitenstaaten abgefahren. Vom Rigaer Bahnhof aus reiste man in die baltischen Republiken. Der Kursker Bahnhof suggerierte Urlaubsbräune am Schwarzen Meer. Vom Sawjolower Bahnhof und vom Paweletser Bahnhof aus verreisten keine bedeutenden Persönlichkeiten - nur Pendler oder Bauern aus der näheren Umgebung. Bei weitem am eindrucksvollsten waren die Leningrader, Jaroslawer und Kazaner Bahnhöfe, die drei Riesen am Komsomolskaja-Platz, und der eigenartigste von ihnen war der Kazaner Bahnhof, von dem aus man Tausende von Kilometern weit nach Afghanistan, in ein Arbeitslager hinter dem Ural oder durch zwei Kontinente bis zur Pazifikküste fahren konnte.
    Um fünf Uhr morgens lagen in der großen Halle des Kazaner Bahnhofs ganze turkmenische Familien Kopf an Kopf auf den Bänken. Rotarmisten schliefen auf dem Boden hockend oder an die Wände gelehnt. Neben dem einzigen offenen Kiosk fragte Pascha Pawlowitsch eine junge Frau in einem Kaninchenpelz aus.
    »Golodkin hat früher Schutzgelder von ihr erpresst«, berichtete Pascha, als er zu dem wartenden Arkadi zurückkam, »aber sie hat ihn längere Zeit nicht mehr gesehen. Angeblich hat er sich auf den Autohandel verlegt.«
    Ein junger Soldat sprach das Mädchen an, das dick Rouge aus Vaseline und Lippenstift aufgelegt hatte. Es lächelte ihm aufmunternd zu, während er den mit Kreide auf ihrer Schuhspitze stehenden Preis las. Dann verließen sie Hand in Hand die Bahnhofshalle, ohne auf die beiden Kriminalbeamten zu achten, die ihnen in einiger Entfernung folgten. Der Komsomolskaja-Platz lag im blaugrauen Licht der ersten Morgendämmerung vor ihnen. Arkadi beobachtete, wie das junge Paar in ein Taxi stieg.
    »Fünf Rubel.« Pascha sah dem Taxi nach.
    Der Fahrer parkte in einer stillen Nebenstrasse und stieg aus, um Wache zu halten, während das Mädchen und der Junge sich auf dem Rücksitz liebten. Der Taxifahrer bekam die Hälfte der fünf Rubel und die Gelegenheit, dem jungen Soldaten eine Flasche Wodka zu verkaufen, die viel mehr kostete als das Mädchen. Offiziell gab es keine Strassenmädchen, weil die Prostitution seit der Oktoberrevolution abgeschafft worden war. Die Mädchen konnten wegen der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten oder wegen unproduktiven Lebenswandels angeklagt werden, aber die Prostitution als strafbarer Tatbestand existierte nicht.
    »Wieder nichts.« Pascha hatte mit den Mädchen auf dem Jaroslawer Bahnhof gesprochen.
    »Komm, wir fahren.« Arkadi warf seinen Mantel auf den Rücksitz, bevor er sich ans Steuer setzte.
    Sogar kurz vor Sonnenaufgang war die Temperatur nicht unter den Nullpunkt gesunken. Über den Leuchtreklamen der Bahnhöfe wurde der Morgenhimmel allmählich heller. Unterdessen herrschte etwas mehr Verkehr. In Leningrad war es um diese Zeit noch stockfinster. Viele Leute schwärmten für Leningrad mit seinen Kanälen und literarischen Gedenkstätten. Arkadi war lieber in Moskau, das einer großen lärmenden Maschine glich.
    Sie fuhren nach Süden in Richtung Moskwa. »Ist dir noch was zu dem geheimnisvollen Anrufer eingefallen, der sich mit Golodkin im Park treffen wollte?« erkundigte der Chefinspektor sich unterwegs.
    »Wenn ich nur selbst hingefahren wäre … « Pascha schüttelte den Kopf. »Für so was ist Fet einfach zu dämlich.«
    Die beiden hielten nach Golodkins Wagen, einem Toyota, Ausschau. Jenseits des Flusses gingen sie ins Rscheski-Badehaus, um zu frühstücken.
     
    Der Gebrauchtwagenmarkt befand sich in der Nähe der Stadtgrenze eine lange Fahrt, die noch länger wurde, als Pascha einen Lastwagen sah, von dem aus Ananas verkauft wurden. Für vier Rubel erstand er eine von der Größe eines besseren Gänseeis.
    »Ein kubanisches Stärkungsmittel«, vertraute er Arkadi an. »Ich hab Freunde, Gewichtheber, die schon dort gewesen sind. Unvorstellbar! Schwarze Schönheiten, Strande und Lebensmittel ohne Konservierungsstoffe. Ein Paradies der

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